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Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marissa Meyer
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sah auf die Hände hinab, auf die faltigen, weichen, gebrechlichen Hände ihrer Großmutter.
    Bei dem Anblick krampfte sich ihr Herz zusammen.
    Lunarier konnten die Gedanken und Gefühle von Menschen manipulieren, so dass diese alles anders wahrnahmen.
    Sie schluckte und riss sich los. Ihre Großmutter hielt sie kurz fest, doch dann gab sie nach.
    Scarlet sprang vom Stuhl, stellte sich mit dem Rücken zur Brüstung und starrte ihre Großmutter an. Das vertraute, immer etwas unordentliche Haar in dem schief geflochtenen Zopf. Die Augen, aus denen nach und nach alle Wärme schwand. Die sich weiteten.
    Scarlet versuchte die Halluzination wegzublinzeln. Aber die Hände ihrer Großmutter wurden wirklich größer.
    Voller Abscheu klammerte sich Scarlet an das Geländer, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
    »Wer bist du?«
    Die Tür zur Loge öffnete sich, aber statt des Wärters von vorhin zeichnete sich die Silhouette des Thaumaturgen vor dem Licht aus dem Gang ab. »In Ordnung, Omega. Wir wissen jetzt genug über sie.«
    Scarlet wandte sich wieder ihrer Großmutter zu und schrie überrascht auf.
    Wo eben noch ihre Großmutter gewesen war, saß jetzt Wolfs Bruder, Omega Ran Kesley, und erwiderte stoisch ihren Blick. Er trug dasselbe zerknitterte, matschverkrustete Hemd, in dem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. »Hallo, meine Liebe. Schön, dich wiederzusehen.«
    Scarlet schoss dem Thaumaturgen einen wütenden Blick zu. Sie konnte das Weiße in seinen Augen und seine extravagante Robe erkennen. »Wo ist sie?«
    »Noch lebt sie, denn unglücklicherweise ist sie uns noch immer ein Rätsel. Ihr Geist ist unbezwingbar, doch was ihr Geheimnis auch sein mag, sie hat es weder an ihren Sohn noch an ihre Enkeltochter vererbt. Wenn es nur ein Trick ist, hätte sie ihn doch wenigstens Ihnen beigebracht, wenn schon nicht dem erbärmlichen Säufer. Wenn es genetisch ist, könnte es allerdings auch ein zufälliges Merkmal sein. Oder gibt es unter Ihren Vorfahren eine Hülle?« Er legte einen Finger an die Unterlippe und betrachtete Scarlet nachdenklich, als sei sie ein Frosch auf dem Seziertisch. »Doch vielleicht sind Sie nicht vollkommen nutzlos. Ich würde wirklich gerne herausfinden, wie gesprächig die alte Dame wird, wenn sie mit ansehen muss, wie sich ihre Enkeltochter Nägel ins eigene Fleisch hämmert.«
    Schreiend und blind vor Wut stürzte Scarlet sich auf ihn.
    Ihre Fingernägel waren nur noch Millimeter von seinen Augäpfeln entfernt, als ihre Wut auf einen Schlag verrauchte und sie schluchzend auf dem Boden zusammenbrach. Sie konnte ihre Wut nicht mehr fassen, sie entglitt ihr wie ein nasser Aal. Je mehr sie es versuchte, desto mehr musste sie schluchzen. Sie verschluckte sich an ihren Tränen, ihr heißer Zorn wich einem elenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit.
    Sie verabscheute sich. Sie war nutzlos. Schwach, dumm und unbedeutend.
    Sie rollte sich zusammen. Fast übertönte ihr Schluchzen das Gelächter des Thaumaturgen.
    »Wie bedauerlich, dass Michelle Benoit sich nicht so leicht manipulieren lässt. Das hätte uns die Sache sehr vereinfacht.«
    Sie beruhigte sich. Die destruktiven Worte verhallten in einer entfernten Gehirnwindung und ihre Tränen versiegten. Als habe jemand einen Hahn zugedreht.
    Als spiele jemand mit einer Marionette.
    Scarlet lag keuchend auf dem Boden und wischte sich das Gesicht ab.
    Sie stützte sich auf dem Teppich ab, unterdrückte ihr Zittern und stand auf. Der Thaumaturg sah sie mit seinem üblichen ekelerregenden Charme an.
    »Ich lasse Sie in Ihre Räumlichkeiten zurückbegleiten«, sagte er in zuckersüßem Ton. »Ergebensten Dank für Ihre Kooperation.«

30
    Die harten Sohlen von Alpha Ze’ev Kesleys Stiefeln klackten laut auf dem Marmorboden, als er durch die Lobby marschierte. Er achtete nicht auf die Soldaten, die ihm ängstlich und respektvoll zunickten. Oder vielleicht aus Neugier über den Offizier, der wochenlang unter Menschen gelebt und sich selbst als einer von ihnen ausgegeben hatte.
    Er versuchte, nicht daran zu denken. Zurück im Hauptquartier zu sein, kam ihm vor, als sei er aus einem Traum aufgewacht. Ein Traum, der früher nach einem Albtraum geklungen hatte, nun aber nicht mehr. Als er aufgewacht war, sah er sich mit einer dunklen Welt konfrontiert. Er hatte sich daran erinnert, wer er war. Was er war.
    Er kam zum Rundbau der Lunarier – ein Ort, der Meister Jael allein auf Grund der kreisrunden Form gefiel. Fast hätte Wolf sich in einem der altersblinden

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