Die Lust des Bösen
seine Opfer dabei binnen Sekunden. Aber wo war die symbolische Wirkung, die Botschaft seiner Taten?
Ein Blick auf die Uhr mahnte zur Eile. Ihr Flieger ging in zwei Stunden.
»Entschuldigen Sie, Jerzy, dass wir nicht mehr Zeit mitgebracht haben.«
»Einen Moment noch«, bat der polnische Kommissar, »fast hätte ich es vergessen. Unsere Spurensicherung hat am Tatort auch Fußspuren sichergestellt. Einige der Fußabdrücke, die die Kollegen auf dem Waldboden der Wolfsschanze gefunden haben, schienen noch recht frisch zu sein. Dennoch wird es wohl schwierig werden, bei dieser Vielzahl, die sie dort sichergestellt haben, zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen. Obwohl heute Schuhfabriken zum großen Teil serienmäßig und in großer Zahl die gleichen Sohlen produzieren, kann man von einer Gleichheit nur dann sprechen, wenn diese absolut neu sind. Bei Gebrauch entstehen individuelle Veränderungen durch Abnutzungser scheinungen, Beschädigungen, Erneuerungen und durch Reparaturen. Einige der Fußabdrücke haben die Kollegen durch das Gipsabformverfahren gesichert.«
»Das ist gut«, bemerkte die junge Kriminalistin, »wir sollten sie abgleichen mit den Abdrücken der Gruppen, die gestern die Wolfsschanze besichtigt haben.«
»Ist bereits veranlasst«, bemerkte ihr polnischer Kollege ein wenig stolz – schließlich machten sie hier einen guten Job. Sie brauchten die deutschen Kollegen sicher nicht, damit sie ihnen sagten, was sie zu tun hatten.
Erst da fiel Lea wieder ein, dass die Jungpolitiker der Nationalpartei sich vielleicht noch im Hotel zur Heiligen Linde aufhielten.
»Bitte schicken Sie ein paar Mann dorthin und lassen Sie ihre Fußspuren sicherstellen. Alle, die gestern die Wolfsschanze besichtigt haben, sollen dort ihre Schuhe, die sie gestern getragen haben, für Abdrücke bereithalten. Sie müssen sich beeilen, denn soweit ich weiß, reist die Gruppe bald zurück nach Deutschland.«
Jetzt war ihr polnischer Kollege doch verblüfft.
»Ich erkläre Ihnen alles später, wir müssen jetzt handeln.« Vermutlich befinde der Täter sich sogar in dieser Gruppe. Wie nahe sie mit ihrer Aussage der Wahrheit kam, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Vergeblich versuchte die Profilerin Jack per Handy zu erreichen. War es möglich, dass dieser Mann, in den sie sich so Hals über Kopf verliebt hatte, etwas mit dem Mord zu tun hatte? In ihr stieg die Verzweiflung hoch. Hatte sie sich etwa so sehr in ihm getäuscht? Konnte ein so liebenswerter, zärtlicher Mann zu derartigen Taten fähig sein?
Nein, sie glaubte es nicht, oder vielmehr wollte sie es nicht glauben. Sie hatte sich in ihn verliebt, und das war alles, was zählte. Das Vertrauen, das sie ihm schenkte, hatte sie noch nicht verloren. Außerdem sagte ihr Bauchgefühl, dass er nichts mit alldem zu tun hatte.
S teiner saß zu Hause inmitten seiner beeindruckenden Bibliothek, die einige Raritäten und unzählige Titel aus dem sechzehnten und siebzehnten und mehr als neunhundert Ausgaben aus dem achtzehnten Jahrhundert beinhaltete. Auch eine alte, handgeschriebene Lutherbibel und einige medizinische Werke waren darunter, die von Franziskanermönchen aufgeschrieben und mit schönen Zeichnungen versehen worden waren. Hier saß er gerne, wenn er nachdenken oder einfach nur entspannen wollte – in seinem alten englischen Ohrenledersessel im Chesterfield-Stil, vertieft in einen neuen Kriminalroman. Meist entspannte er sich bei einem Glas Wein und einer Zigarre – so auch heute, als das Telefon klingelte.
Er erhob sich langsam und meldete sich mit einem unpersönlichen »Ja, bitte«, denn man wusste ja nie, welche Spinner so am anderen Ende der Leitung waren. Er hatte jedenfalls schon einiges erlebt im Laufe der Jahre.
»Schönen guten Tag, Herr Professor Steiner, hier ist Lea Lands.«
»Ah, hallo, Frau Lands, welch eine Freude, von Ihnen zu hören.« Seine Stimme verriet, dass er sich tatsächlich über ihren Anruf freute. »Ich vermute mal, dass Sie mich nicht angerufen haben, um mit mir eine nette Plauderei zu halten. Sie haben doch bestimmt etwas auf dem Herzen.«
»Ja«, bemerkte Lea und kam gleich zur Sache.
Sie bräuchte seine Anregungen, seine präzisen Fragen, die sie immer so inspiriert hätten. »Verstehen Sie, was ich meine?«
Ja, er verstand nur zu gut – so wie die TV-Serienfigur Dr. House sein Team braucht, brauchte sie ihn, weil er alles auf den Punkt bringen konnte.
»Lassen Sie mich raten, vermutlich wollen Sie sich mit mir in
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