Die Lust des Bösen
bekommt man geschenkt«, hatte er oft gesagt. Als Manager musste er eben auch Dinge durchsetzen, die unbequem waren. Und nun? Wie sah es jetzt in seinem Privatleben aus? Hier war er nicht mehr der große Manager, der für alles immer eine Lösung hatte. Hier war er einer, der sich offensichtlich vor der Entscheidung drückte, deren Folgen für ihn ziemlich unbequem werden konnten, hieß es doch auf Vertrautes zu verzichten und vielleicht sogar seine gesamte Familie und damit sein liebgewonnenes Zuhause aufzugeben. Mit Patrizia würde er seine wichtigste Vertraute verlieren, eine, die sich nie gescheut hatte, ihm auch unangenehme Wahrheiten zu sagen, eine, die es wagte, ihn zu kritisieren. Seine Frau war einer der wenigen Menschen, die er respektierte. Oft hatte sie den radikalen Kurs kritisiert, den er in seinem Beruf fuhr, wenn er Menschen feuerte.
Natürlich war es nicht gerade sozial, Menschen zu entlassen. Aber noch weniger sozial war es, etwas sehenden Auges gegen die Wand fahren zu lassen. Es war besser, ein Unternehmen zu sanieren, das unterzugehen drohte. Und dazu musste man eben auch Eingriffe vornehmen und Wahrheiten aussprechen, die nicht allen gefielen.
Noch gut erinnerte sich Patrizia an das Beispiel, mit dem er ihr einmal seine Gedankengänge verdeutlicht hatte: »Mein Schatz, stell dir einfach vor, ich wäre ein Arzt. Wenn du dir heute ein Bein brechen und hinterher zu mir kommen würdest, würdest du mir ganz sicher nicht die Schuld daran geben, dass du dir das Bein gebrochen hast. Und nichts anderes passiert, wenn ich Unternehmen saniere: Sanierer sind wie Ärzte. Sie wollen heilen. Sie wollen einen Organismus wieder in Ordnung bringen. Aber dann passiert häufig Folgendes: Die, die den Laden ruiniert haben, sind nicht mehr da, der Sanierer wird geholt und soll es wieder richten. Und mit ihm verbindet man nun das Übel, die Einschnitte und die Härten der Sanierung. Dabei haben andere dieses Handeln erforderlich gemacht.«
Patrizia hatte ihn verstanden, dennoch war es für sie nicht leicht, damit umzugehen, denn im Grunde ihres Herzens hatte sie seine Arbeit gehasst. Immer dieses Rationale, Kühle, Überlegte, Analytische … Wo blieb dabei das Menschliche, das Empathische, wo blieben seine Gefühle?
Und während sie Lea das alles erzählte, fand sie sich sofort wieder in der Szenerie dieses Abends. Klaus hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als zur Tagesordnung überzugehen, als ob er einen seiner Fälle abarbeiten würde. Je ruhiger er wurde, desto wütender wurde Patrizia. Wie konnte er in diesem Moment nur an ein Abendessen denken? Wollte er ihr womöglich Normalität vorspielen, wie er es all die Jahre über getan hatte? Schließlich platzte ihr der Kragen. Sie konnte ihre Emotionen nicht länger unterdrücken und wollte sich seine Lügen nicht weiter anhören.
»Hast du mir etwas zu sagen?«, hatte sie ihn schließlich sichtlich erregt gefragt, er aber hatte sich dumm gestellt, als ob er nicht genau wüsste, wovon sie redete: »Was meinst du?«
Patrizia war ziemlich ungehalten gewesen. Sie fühlte sich in diesem Moment nicht nur betrogen, verraten und allein, sondern auch nicht ernstgenommen und für dumm verkauft.
»Was ich meine?«, hatte sie ihn dann wütend angeschrien, während sie nervös durch die Wohnung gelaufen war, kurz davor, ihre Fassung zu verlieren. »Fragst du das ernsthaft? Ich durfte heute die SMS deiner Geliebten lesen, und du fragst mich, was mit mir los ist? Du hast noch nicht einmal den Mut, es mir selbst zu sagen?«
Ach, daher wehte der Wind, erst jetzt verstand Klaus ihre ganze Aufregung. Er war empört.
»Du schnüffelst in meinen Sachen?«, brüllte er.
Hin und wieder hatte er einen dieser cholerischen Aussetzer. Patrizia kannte das. Aber an diesem Tag schien er alle Fassung verloren zu haben. Auch das hatte wohl zu seinem Ruf als Rambo beigetragen. Wahrheit, Klarheit und Konsequenz, das war immer seine Lebensdevise gewesen – eine saubere, schonungslose Analyse und dann die Ableitung dessen, was als Handlungsempfehlung nötig ist, und am Ende die Umsetzung. Und jetzt? Jetzt war er zu feige, mit aller Deutlichkeit die Wahrheit zu sagen, und zu feige, die Konsequenzen zu tragen. Er kannte Patrizia und wusste, dass sie ihm das nie verzeihen würde.
Bisher hatten sie seine plötzlichen Wutausbrüche nicht weiter gestört, aber an diesem Tag war alles anders gewesen. Sie hatte erkannt, wie lächerlich das alles war.
»Das ist ja wohl das Allerletzte«, hatte
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