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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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spürte Wulf eine starke Erregung. So musste vielleicht einem Schauspieler beim Betrachten der Zuschauerränge zumute sein, oder einem antiken Gladiator beim Gedanken an eine voll besetzte Arena.
    In diesem Moment begannen die Stimmen in seinem Kopf wieder durcheinanderzureden, so wie damals beim Mord am alten Brangenberg. Und wie immer in solchen Momenten war er nicht mehr eine Person, sondern viele. Wulf klappte den Laden schnell wieder zu und drehte den Kopf zur Seite. Er hatte etwas gehört, Schritte auf der Treppe. Das geschah nicht zum ersten Mal, aber es schreckte ihn jedes Mal auf. Diesmal war es kein blinder Alarm, denn die Schritte entfernten sich nicht, sondern sie kamen näher. Wulf schnappte seine Armbrust und versteckte sich hinter den Getreidesäcken.
    Schritte nun auf den Holzbohlen.
    Wulf wagte nicht, hinter seinem Versteck hervorzuschauen. Vollkommene Stille! Der Besucher schaute sich offenbar um. Hatte er etwas Verdächtiges bemerkt? Wulf überlegte, ob er etwas übersehen hatte. Den aufgeschlitzten Sack? Er hatte ihn zur Seite geräumt; aber da fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, den Laden wieder zu schließen, allerdings war das nur ein winziger Spalt. Nun setzten die Schritte wieder ein und bewegten sich offenbar schnurgerade auf ein Ziel zu. Wulf hörte ein Quietschen. Es musste wohl, so überlegte er, vom Laden kommen, genau wie er befürchtet hatte.
    Er konnte der Versuchung nicht länger widerstehen und schaute aus seinem Versteck hervor. Dort stand nicht einer der Hausknechte, wie er vermutet hatte, sondern Wladislaw, der Großvater, der ihn mittlerweile wie ein böser Geist verfolgte: Letztens hatte er sogar von ihm geträumt. Was hatte der Alte hier zu suchen? Weshalb schnüffelte er auf dem Speicher herum? Ahnte er Wulfs Nähe? Wie sollte das möglich sein? Wulf war nach dem Mord in der Kathedrale ein Gejagter, niemand konnte mit seiner Rückkehr auf den Kornspeicher rechnen, es sei denn … Irgendwie ging das nicht mit rechten Dingen zu.
    Er ahnt meine Nähe, er ist ein Teufel, ich muss ihn töten, was macht er dort am Fenster, süße Jungfrau, beschütze mich, leite meine Schritte! Luther ist ein Teufel, und dieser Mann dort ist ein Teufel! Großmutter erzählte mir immer vom Teufel … Wulf, bedenke, dass der Teufel listenreich ist, er verkleidet sich, erträgt Masken, dort, der Mann, er trägt eine Maske, er trägt die Maske eines alten Mannes, Wulf, du hörst so viele Stimmen in deinem Kopf und sie reden alle durcheinander … Woher kommen sie, wie kann ein Mensch so viele Stimmen in sich tragen?
    Der alte Mann schaute aus dem Fenster und hielt Wulf den Rücken zugekehrt; mehrmals öffnete und schloss Wladislaw den Laden. Wulf war nicht klar, welchem Zweck die Prozedur diente, aber der Großvater hatte Verdacht geschöpft, das war gewiss. Da drehte er sich ruckartig um und starrte genau in Wulfs Richtung, der ganz schnell seinen Kopf wieder hinter dem Sack versteckte.
    Zuerst geschah nichts, aber auf die Stille folgte ein leises Kichern, ein selbstzufriedenes, bösartiges Kichern, das lauter wurde und sich zu einem Lachanfall steigerte. Was war zu tun? Wulf entschied, in seinem Versteck zu bleiben. Das Lachen erstarb. Schritte … Nun hob Wulf doch den Kopf und der Alte stand nur wenige Schritte von ihm entfernt. Wulf richtete sich auf, denn das Spiel war beendet. Wladislaw war wirklich wesentlich größer als er, auch hielt er seinen Stock in der Hand, den er beim Gehen kaum benutzte. Sie starrten sich an. Wladislaw lächelte, Wulf lächelte zurück.
    »Nun, mein Kleiner«, sagte Wladislaw, »das dachte ich mir doch, dass wir beide uns einmal wiedersehen.«
    »Tatsächlich, Ihr habt es vorausgesehen? Wie kommt’s?«, fragte Wulf.
    »Ach, weißt du, mein Kleiner, das ist so ein Gefühl, lässt sich gar nicht wirklich erklären. Eine schöne Armbrust liegt da neben dir.«
    »Ja, ein gutes Stück, sehr treffsicher, ich habe sie bereits erprobt.«
    »Das ist recht. Wie heißt es so schön im Sprichwort: ›Der kluge Mann baut vor‹.«
    »Ihr seid zwar ein Teufel«, sagte Wulf, »aber unsympathisch seid Ihr mir nicht. Um die Wahrheit zu sagen, ich finde es schade, dass ich Euch töten muss.«
    »Dein Bedauern kommt etwas zu früh, mein Kleiner. ›Man soll das Fell des Bären nicht verkaufen, bevor man ihn erlegt hat‹.«
    »Auch das ein schönes Sprichwort, doch hinkt der Vergleich ein wenig, da ich weit und breit keinen Bären sehe.«
    »Ehe wir diesen Punkt abklären, möchte

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