Die Lutherverschwörung
bis sie in der Nuss, einer Vorrichtung aus Metall, Halt fand.
Wulf legte die Winde auf den Sack und betrachtete die Vogelscheuche: das perfekte Ziel. Er würde versuchen, den Kopf zu treffen. Wulf kehrte der Figur den Rücken zu und entfernte sich durch das nasse Gras. Nach etwa hundertfünfzig Schritten blieb er stehen und drehte sich um. Er klappte den Visierabsatz hoch, schulterte die Armbrust und stützte mit der linken Hand die Säule ab, während der rechte Zeigefinger am Abzug lag. Mit Hilfe von Kimme und Korn visierte er sein Ziel an. Das Flattern der Jacke störte ihn, aber mit Bewegung musste er auch im Ernstfall rechnen. Er drückte den Abzugsbügel, der mit der Nuss verbunden war, und der Übungsbolzen schoss los.
Das Geschoss blieb lange in der Luft. Es beschrieb eine ruhige Flugbahn, dann durchschlug es die blaue Jacke und blieb irgendwo im Feld liegen. Er merkte sich die Stelle, ging zurück, holte den Bolzen und legte ihn auf den Sack. Mit Werkzeug, das er mitgebracht hatte, nahm er eine Korrektur an der Zielgabel vor, dann spannte er die Armbrust erneut und entschied sich für einen anderen Bolzen; auch dieser hatte keine Metallspitze.
Wieder entfernte er sich hundertfünfzig Schritte von seinem Ziel, legte an, zielte und schoss. Ein zweites Mal landete der Bolzen im Feld. Wulf ging zur Vogelscheuche und betrachtete den Kopf; links war das Stroh aufgerissen, also hatte er ihn gestreift. Er holte den Pfeil, ging zum Sack und nahm eine zweite Korrektur vor. Er spannte die Armbrust mit einem Bolzen ohne Stahlspitze – diesmal streifte er das Stroh rechts. Nach einer dritten Korrektur spannte er die Armbrust erneut: Jetzt hatte er den Bolzen mit Stahlspitze und Widerhaken eingelegt.
Einhundertfünfzig Schritte sind eine große Entfernung. Als Wulf sein Ziel mit Kimme und Korn anvisierte, kam ihm der aus Stroh geformte Kopf sehr klein vor. Diesmal zielte er länger – und schoss. Der Bolzen traf sein Ziel, durchschlug das Stroh und blieb im Pfosten stecken. Wulf ging zur Vogelscheuche und betrachtete den Treffer: Wäre dies ein Mensch gewesen, so hätte er ihn genau zwischen den Augen erwischt.
Als Wulf wieder zu seinem Sack zurückkehrte, stand dort ein kleines Mädchen. Es hatte rote, lockige Haare und legte den Kopf ein wenig zur Seite, während es ihn neugierig anblickte. Er reagierte erst gar nicht, denn er hatte sich allein geglaubt und war völlig in seine Aufgabe vertieft gewesen.
»Was machst du da?«, fragte sie.
»Wie kommst du denn hierher?«, fuhr Wulf sie an.
»Warum schießt du auf die Vogelscheuche?«
»Ich übe nur, das hat nichts zu bedeuten.« Wulf dachte fieberhaft nach. Natürlich würde sie das, was sie gerade gesehen hatte, nicht für sich behalten; wahrscheinlich würde sie es als Erstes ihren Eltern erzählen.
Er fragte sie, wie sie heiße und wo sie wohne. Ihr Name war Maria, das Haus ihrer Eltern lag ganz in der Nähe am Ufer, erzählte sie.
»Was macht dein Vater von Beruf?« Wulf betrachtete sie aufmerksam. Er schätzte sie auf acht Jahre, und doch war er nicht viel größer als sie.
»Er ist Henker.«
Wulf überlegte, ob er sie töten sollte. Er könnte sie in den Fluss werfen.
»Du hast genau den Kopf getroffen«, sagte sie.
»Wie lange beobachtest du mich schon?«
»Ich habe dich kommen sehen.«
»Bist du mir nachgeschlichen?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Ich saß da im Busch und habe Vögel beobachtet, dann bist du gekommen.«
»So, du hast also Vögel beobachtet?«
»Ja, hier gibt es so viele.«
Ihr rotes Haar leuchtete in der Sonne, sie gefiel ihm.
»Ich habe noch nie gesehen, dass jemand so gut schießt wie du.«
Er musste sie töten und in den Fluss werfen. Jetzt!
»Wie machst du das?«, fragte sie.
»Wenn man weiß, wie es geht, ist es ganz einfach. Hast du noch nie eine Armbrust gesehen?«
»Schon, aber nur aus der Ferne.«
Und Augen hatte sie, die waren von einem ganz hellen, wässrigen Blau. Was für eine Rolle spielte das eigentlich? »Natürlich musst du begabt sein, aber vor allem musst du viel üben, das ist mit allem so.« Nun fing er schon an, ihr Lebensweisheiten zu vermitteln, Wulf zweifelte an seinem Verstand. An wen, zum Teufel, erinnerte sie ihn?
»Mein Vater hat keine Armbrust, nur so ein großes Hackebeil und ein riesiges Schwert, damit haut er den Leuten den Kopf ab.«
»Immerhin, das ist doch auch etwas«, sagte Wulf.
»Ich finde so eine Armbrust schöner. Und du hast genau getroffen, von ganz weit weg, das ist viel
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