Die Macht der Angst (German Edition)
mit einem professionellen Lächeln und wandte sich ab.
Die übermäßig fantasievolle, labile, überspannte Edie. Nur eine ihrer kleinen Wahnvorstellungen, würde ihre Mutter jetzt sagen. Vergiss es einfach und nimm dich zusammen. Halt dich nicht damit auf.
Keine vierzig Sekunden später stieß das Handy in ihren Fingern einen leisen Rülpser aus. Edie klickte auf die Nachricht und schaute verstohlen nach unten.
scheiß drauf
erwarte dich in der lobby
Ihr Herz vollführte einen ungestümen Hopser. Es schien gegen den Kloß in ihrer Kehle zu rumsen.
»Edith! Simst du etwa?«, fragte Marta scharf. »Mit dieser Person?«
Edie stemmte das Gehäuse des Handys mit dem Daumen auf und nahm die SIM -Karte heraus. Sie fühlte Ronnies zappelnde Finger, drückte ihrer Schwester die Karte in die Hand und schob die Verschalung wieder zusammen. »Nein.«
Ihr Vater streckte die Hand aus. »Gib mir das Telefon, Edith.« Seine Stimme klang umso zorniger, je kontrollierter sie war.
»Dad, ich –«
»Gib es mir, andernfalls lasse ich dich auf der Stelle von meinem Sicherheitspersonal in die psychiatrische Klinik bringen, und das vor aller Augen. Je haarsträubender diese Schmierenkomödie wird, desto weniger schert mich negative Publicity.«
»Charles!« Marta setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Die Leute sehen her.«
»Gib mir das Telefon«, wiederholte er, nun lauter.
Es bestand kein Grund, sich ihm zu widersetzen. Sie würde es sowieso nicht mehr benutzen können, also händigte sie es ihm aus.
Er versuchte, es anzuschalten. »Wie ist der Code?«
Edie schüttelte den Kopf. Ihr Vater kniff die Brauen zusammen. »Treib keine Spielchen mit mir«, warnte er sie.
»Das Schlimmste hast du mir schon angetan, Dad«, sagte sie ruhig. »Deine Drohungen ziehen nicht mehr. Was willst du noch machen? Mir die Beine brechen?«
Ihre Tante Evelyn schnappte entrüstet nach Luft. »Edith! Was ist nur in dich gefahren?«
Ihr Vater wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Marta ihn gegen den Arm knuffte. Er sah hoch. Des Marr stand auf dem Podium, um mit seiner Einführungsrede zu beginnen. Niemand hätte beim Anblick von Charles Parrishs wohlwollend lächelndem Gesicht vermutet, dass sich an seinem Tisch gerade ein hässliches Familiendrama abspielte. Es sei denn, man hätte Edie angesehen.
Zum Glück für alle Beteiligten geschah das nicht sehr häufig.
Charles hob das Weinglas an seine Lippen, aber Marta zupfte ihn am Ärmel, ehe er trinken konnte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Edie fixierte den Kelch in der Hand ihres Vaters. Burgunder schwappte darin, barbarisch und dunkel wie Blut. Er erinnerte sie an den verschütteten Wein auf ihrer Zeichnung.
Der Wein
.
Desmond Marrs Stimme drängte sich in Edies Bewusstsein. »… Sie nur darauf warten, dass ich zum Ende komme und der gute Teil des Abends beginnt, aber es fällt mir schwer, mich zu zügeln, wenn es um Charles’ bemerkenswertes Lebenswerk geht. Fast so schwer, wie es mir fällt, mir Helix ohne seine glänzende Führung vorzustellen …«
Edie hatte Marrs schwärmerische Ansprache kaum mitbekommen, so sehr war sie geistig von ihrer misslichen Lage in Anspruch genommen gewesen. Hypnotisiert von dem Wein, der im Glas ihres Vaters kreiste. Jeder Federstrich ihrer Skizze hatte sich in ihr inneres Auge gebrannt. Gesicht und Torso ihres Vaters, in einer Blutlache ertrinkend.
Der Wein
.
Charles hob von Neuem das Glas an seinen Mund.
»Nein!« Edie wusste nicht, wie sie es schaffte, sich so schnell zu bewegen, aber ehe sie es sich versah, hatte sie sich quer über den Tisch geworfen und umklammerte den Stiel des Glases mit zittrigen Fingern. Wein hatte sich auf ihre Hände und auf die Manschetten ihres Vaters ergossen, war auf sein Kinn und auf die Vorderseite seiner Smokingjacke gespritzt. Wassergläser wackelten und fielen um, Blumenarrangements und Kerzen kippten. Es ertönten keuchende Laute, Gemurmel und schockierte Ausrufe. Marta stand der blutrote Mund offen.
»Edith?« Die Augen ihres Vaters waren vor Entsetzen geweitet. »Was um alles in der Welt … um Himmels willen, lass los! Setz dich!
Setz … dich!
«
»Trink das nicht, Dad!« Ihre Stimme überschlug sich. »Du darfst das nicht trinken!«
Ihr Vater löste ihre nassen Finger von dem Weinglas. Tante Evelyn packte sie von einer Seite, Tanya von der anderen. Sie zogen sie vom Tisch herunter und drückten sie auf ihren Stuhl. Alle gafften.
»… lautet das Fazit, dass Charles Parrish uns allen mit
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