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Die Macht der Angst (German Edition)

Die Macht der Angst (German Edition)

Titel: Die Macht der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon McKenna
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ist …« Ronnies Stimme brach, und die Statik, der schlechte Empfang und der pfeifende Wind machten ihre Worte unverständlich.
    »Ronnie? Schätzchen? Ich kann dich nicht verstehen«, rief Edie und krabbelte hektisch aus dem Wind. »Wiederhol es bitte. Okay?«
    »Es ist Daddy«, schluchzte Ronnie. »Es ist Daddy.«
    »Was ist mit ihm? Geht es ihm schlecht? Ist er wieder in der Klinik? Was ist passiert?«
    Ronnie sagte etwas, dann wurde ihre Stimme von einer anderen, lauteren, klareren ersetzt. »Edith? Bist du das?«
    Edie rutschte das Herz in die Hose. Sie war aufgeflogen. Tante Evelyn war am anderen Ende, und sie klang noch schriller als sonst. »Ja, Tante Evelyn. Was ist los? Ist etwas passiert?«
    »Es geht um Charles«, sagte ihre Tante. »Er … er wurde ermordet.«
    Edie wartete, dass Evelyn die Worte zurücknahm, die sie gerade gesagt hatte. Diese unvorstellbare, unaussprechliche Behauptung. Das war unmöglich. Nicht ihr Vater. Er war unbesiegbar. Ein unbezwingbarer Felsen. Unsterblich.
    »Er wurde erschossen«, schluchzte ihre Tante. »In seinem Büro. Von einem Scharfschützen. Um halb elf heute Morgen. Es ist einfach entsetzlich. So entsetzlich.«
    Edie hatte sich vor den Felsen gekauert, doch jetzt gaben ihre Beine nach, und sie landete auf dem Gesäß. Brunos Lippen bewegten sich, aber sie konnte nicht hören, was er sagte. Sie hörte nur das Heulen des Windes. Oder vielleicht war das Heulen in ihrem Kopf.
Daddy.
Sein Gesicht driftete vor ihrem geistigen Auge vorbei, so, wie sie es zuletzt gesehen hatte, auf der Intensivstation. Sie hatte es so viele Male gezeichnet, sich ihr Leben lang nach seiner Anerkennung verzehrt, sich so fest eingeredet, dass sie sie nicht länger brauchte.
    Erst die Gewissheit, dass sie seine Anerkennung nun nie mehr erlangen würde, enthüllte, wie vergeblich alle ihre Bemühungen gewesen waren.
    Das schrille Gefasel ihrer Tante wogte auf und ab, drang jedoch nicht in Edies Bewusstsein vor. Sie zwang sich hinzuhören. »… dran? Edith? Antworte mir! Bist du noch da?«
    »Ja«, keuchte sie.
    »Komm nach Hause«, sagte ihre Tante mit brüchiger Stimme. »Ronnie braucht dich.«
    »Ich komme so schnell wie möglich«, versprach sie. »Gib mir Ronnie.«
    Evelyn zögerte. »Das halte ich für keine gute Idee. Du kannst mit Ronnie sprechen, wenn ich dabei bin. Und natürlich werde ich Dr. Katz bitten zu kommen. Ronnie ist sehr labil, darum ist es nicht ratsam, dass du –«
    »Lass mich gottverdammt noch mal mit meiner Schwester reden!«
    Evelyn schnappte hörbar nach Luft. »Edith! Wie kannst du es wagen! Zu einem Zeitpunkt wie diesem!«
    Edie bezähmte ihren Frust mit aller Macht. Je mehr sie sich von Evelyn provozieren ließ, desto mehr Anlass würde sie ihr geben, sie als verantwortungslos und unzurechnungsfähig hinzustellen. Das Wichtigste war jetzt, an Ronnie heranzukommen und sich an sie zu schweißen. Sie mäßigte ihre wutbebende Stimme. »Bitte entschuldige, Tante Evelyn. Ich bin einfach schrecklich durcheinander. Ich komme so schnell wie möglich nach Hause. Ich muss jetzt Schluss machen.«
    »Edith! Warte! Wo bist –«
    Sie klappte das Handy zu, gab es Bruno zurück, dann krabbelte sie noch gerade rechtzeitig zur Seite, sonst hätte sie ihr Mittagessen in seinen Schoß erbrochen. Alles, was sie an diesem Tag gegessen hatte, kam wieder heraus. Sie würgte noch lange, nachdem ihr Magen leer war. Gallebitter mischte sich ihr Speichel mit ihren Tränen.
    Bruno wartete, seine Hände auf ihren bebenden Schultern, bis sie sich endlich aufzustehen traute. Er gab ihr ein Papiertaschentuch. Edie wischte sich das Gesicht ab und ließ sich von ihm von der Schweinerei wegführen. Sie fühlte den eisigen Wind nicht mehr. Sie fühlte … nichts. Die Welt trudelte davon. In ein anderes Universum.
    Edie nahm sich zusammen, zwang ihre Stimme zum Gehorsam.
    Es kam ihr vor, als würde jemand anders die Worte artikulieren. Ihr Körper gehörte einer schlaffen Puppe, die nichts als unsinniges Zeug in den tosenden Wind fabulierte. Die Worte hatten keine Bedeutung, kein Gewicht. Edie verstand ihren Sinn nicht.
    Nicht ihr Vater. Er war eine solche Präsenz in ihrem Leben. Ein Berg, ein Fels, ein Kraftwerk. Ohne ihn gab es nichts mehr, wogegen sie ankämpfen, woran sie sich definieren konnte. Sie fühlte sich desorientiert, haltlos.
    Trotz der unbarmherzigen Kälte ihres Vaters war eine Welt ohne ihn unvorstellbar. Edie taumelte, und Bruno fasste sie an den Ellbogen, so als fürchtete er, sie

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