Die Macht der Disziplin
Ihrer Liste steht, ›Weihnachtskarten schreiben‹, dann ist das eine gute nächste Aktion – wenn Sie Stift und Weihnachtskarten haben«, erklärt Allen. »Wenn Sie keine Karten haben, dann wissen Sie unbewusst, dass Sie sie gar keine schreiben können. Deshalb werden Sie die Liste meiden und diesen Punkt aufschieben.« So einfach dieser feine Unterschied klingt, wir machen es immer wieder falsch. Als Allen hörte, dass sich John Tierney vom GTD-System inspirieren lässt und einen Planer auf seinem Smartphone installiert hat, wettet Allen, dass die meisten Punkte auf seiner NA-Liste nicht unmittelbar umsetzbar sind. Und tatsächlich stehen da Dinge wie »mint.com-Forscher kontaktieren« und »Esther Dyson zu Selbstdisziplin fragen« – alles viel zu vage.
»Wie wollen Sie diese Leute fragen oder kontaktieren?«, fragt Allen. »Haben Sie ihre Telefonnummern und E-Mail-Adressen? Dieser kleine Unterschied ist entscheidend. Alles, was auf dieser Liste steht,stößt Sie entweder ab oder es zieht Sie an. Wenn Sie schreiben ›Esther fragen‹, weil Sie noch nicht genau wissen, was Sie als Nächstes tun wollen, dann werden Sie Ihre Liste unbewusst meiden. Sie verspüren eine untergründige Sorge. Aber wenn Sie schreiben ›Esther mailen‹, dann denken Sie, klar, das kann ich. Sie erledigen es und haben das Gefühl, etwas geschafft zu haben.«
Als der Technologie-Autor Danny O’Brian 65 vor einigen Jahren einen Fragebogen an siebzig der »beneidenswert produktiven Menschen« verschickte, die er kannte, um sie nach ihren Organisationsgeheimnissen zu befragen, erfuhr er, dass die wenigsten besondere Computerprogramme oder andere komplizierte Werkzeuge benutzten. Aber viele antworteten, sie benutzten das GTD-System, zu dem sie nichts anderes benötigen als einen Stift, Papier und Ordner. Die Wirksamkeit des Systems wurde bislang noch nicht wissenschaftlich erforscht. Doch die psychologische Literatur enthält Hinweise auf den Stress, den Allen beobachtete. Auch Psychologen haben sich mit der Frage beschäftigt, wie sich der Affen-Geist bändigen lässt. Sie verwenden allerdings einen anderen Begriff dafür.
Der Zeigarnik-Effekt 66
Nach einer Legende, die unter Psychologen kursiert, geht die Entdeckung auf ein Mittagessen zurück, das Mitte der zwanziger Jahre in der Nähe der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand. Eine Gruppe von Studenten und Professoren besuchte ein Restaurant und bestellte bei einem Kellner, der sich nicht die Mühe machte, die Bestellungen zu notieren. Er nickte einfach. Als jeder das Essen bekam, das er bestellt hatte, waren die Gäste beeindruckt von dieser Gedächtnisleistung. Nachdem sie gegessen, bezahlt und das Restaurant verlassen hatten, lief einer der Studenten noch einmal zurück, weil er etwas vergessen hatte. Als er den Kellner sah, bat er ihn um Hilfe, in der Hoffnung, er könne ihm mit seinem hervorragenden Gedächtnis weiterhelfen.
Doch der Kellner sah ihn nur mit leerem Blick an. Er hatte keine Ahnung, wer der Gast war, geschweige denn, wo er gesessen hatte. Auf die Frage, wie er ihn so schnell vergessen haben konnte, erwiderte der Kellner, er erinnere sich nur so lange an die Bestellung, bis er sie serviert habe.
Zwei der Gäste, eine russische Psychologiestudentin namens Bluma Zeigarnik und ihr Mentor, der renommierte Professor Kurt Lewin, machten sich Gedanken über dieses Erlebnis und fragten sich, ob dahinter vielleicht ein allgemeingültiges Gesetz stecken könnte. Traf das menschliche Gehirn eine Unterscheidung zwischen erledigten und zu erledigenden Aufgaben? Sie begannen mit der Beobachtung von Leuten, die beim Lösen eines Puzzlespiels unterbrochen wurden. Diese und viele weitere Untersuchungen, die in den folgenden Jahrzehnten durchgeführt wurden, bestätigten den sogenannten Zeigarnik-Effekt: Nicht erledigte Aufgaben und nicht erreichte Ziele kommen uns immer wieder in den Kopf. Wenn eine Aufgabe jedoch erledigt und abgeschlossen ist, endet der Strom der Ermahnungen.
Sie können den Zeigarnik-Effekt nachvollziehen, wenn Sie ein Lied hören und es vor dem Ende abschalten. Wahrscheinlich spukt Ihnen die Melodie zu unmöglichen Zeiten im Kopf herum. Wenn Sie das Lied zu Ende hören, hakt Ihr Geist es ab. Aber wenn Sie es vor dem Ende abbrechen, behandelt Ihr Geist es als unerledigte Angelegenheit. So als wolle er Sie daran erinnern, dass Sie noch eine Aufgabe zu erledigen haben, spielt er Ihnen immer wieder Schnipsel aus dem Lied ein. So geht es auch Bill Murray in
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