Die Macht der Disziplin
abgelegt, in denen alphabetisch geordnete Plastikmappen mit fein säuberlich gedruckten Etiketten hängen. Sie mögen das jetzt vielleicht als verkrampft abtun, aber Allen könnte kaum entspannter sein.
Als er seine Arbeit mit den überforderten Managern aufnahm, sah er das Problem der klassischen Managementplanung, die in großen Zusammenhängen denkt, Visionen vorgibt, langfristige Ziele entwickelt und Prioritäten setzt. Der ehemalige Hippie fühlte sich zwar von den hochfliegenden Zielen angesprochen, aber er erkannte auch, dass seine Klienten keinen Kopf mehr für die einfachsten Aufgaben des Moments hatten. Allen beschrieb ihre Situation mit einem Bild aus dem Buddhismus: dem Geist eines Affen. Damit ist ein Geist gemeint, der von einem Gedanken zum nächsten springt, wie ein Affe, der sich von einem Baum zum nächsten hangelt. In einer Abwandlung des Bildes stellte sich Allen gelegentlich einen Affen vor, der auf unserer Schulter sitzt, uns dauernd ins Ohr plappert, alles in Zweifel zieht und uns ständig unterbricht, bis wir schreien: »Stopf doch jemand dem Affen das Maul!«
»Die wenigsten Menschen wissen, wie es sich anfühlt, an nichts anderes zu denken als an das, was sie gerade tun«, meint Allen. »Diese Dissonanz und dieser Stress ließen sich ja noch ertragen, wenn wir sie einmal im Monat ertragen müssten, so wie früher. Aber heute machen die Leute einfach dicht, oder sie drehen durch und kommen mit ihrer Angst nicht mehr klar.«
Statt über Ziele und deren Umsetzung nachzudenken, half Allen seinen Klienten, mit dem Chaos auf ihrem Schreibtisch fertigzuwerden. Die traditionellen Tipps zur Selbstorganisation – etwa der Rat, jedes Stück Papier nur einmal anzufassen – erschienen ihm wenig praxistauglich. Was machen Sie mit einem Bericht für eine Sitzung, die kommende Woche stattfindet? Allen erinnerte sich an ein Instrument aus seiner Zeit im Reisebüro: die Wiedervorlagemappe. Der Bericht ließ sich wie ein Flugticket in einem Ordner für den Tag ablegen, an dem er gebraucht wurde. So blieb der Schreibtisch aufgeräumt, und der Bericht lenkte nicht ab, bis er gebraucht wurde. Allens Wiedervorlageordner – mit 31 Mappen für jeden Tag des Monats und zwölf Mappen für die Monate des Jahres – wurde weithin kopiert.
Dieses System half nicht nur, Ordnung auf dem Schreibtisch herzustellen, sondern es nahm den Führungskräften auch eine Sorge ab: Was dort abgelegt ist, kommt am entsprechenden Tag wieder auf den Tisch, man an muss sich keine Sorgen machen, es zu verlieren oder zu vergessen. Allen suchte auch nach anderen Möglichkeiten, diese innere Stimme abzustellen und »lose Enden« im Kopf zu verbinden. »Ein wichtiges Element aus der Welt der Persönlichkeitsentwicklung sind die Abmachungen, die man mit sich selbst trifft«, erinnert sich Allen. »Wenn Sie eine Abmachung mit sich selbst treffen und sich nicht daran halten, dann schwächen Sie Ihr Selbstvertrauen. Andere können Sie vielleicht täuschen, aber sich selbst nicht. Sie werden dafür bezahlen, also sollten Sie sehr genau darauf achten, was Sie mit sich selbst verabreden. Wir haben einen Workshop entwickelt, um diese Selbstvereinbarungen aufzuschreiben.«
Diese Listen mit Zielen und Festlegungen sind natürlich alles andereals revolutionär und gehören seit Noahs Arche und den Zehn Geboten zum festen Repertoire der Selbsthilfeliteratur. Doch Allen und der Managementberater Dean Acheson entwickelten sie weiter. Um seinen Klienten zu helfen, Ablenkungen auszuschalten, ließ Acheson sie alles aufschreiben, was ihre Aufmerksamkeit verlangte, egal ob groß oder klein, beruflich oder privat, nah oder fern, grob oder detailliert. Sie mussten nichts analysieren oder organisieren oder planen, sie sollten nur in jedem Fall den nächsten konkreten Schritt notieren.
»Dean bat mich, mich hinzusetzen und einfach alles aufzuschreiben, was mir durch den Kopf ging«, erinnert sich Allen. »Ich habe viel meditiert und halte mich für einen gut organisierten Menschen. Aber das Ergebnis hat mich erschreckt.« In der Arbeit mit seinen eigenen Klienten predigte Allen die Bedeutung der »Nächsten Aktion« oder NA, wie sie von GTD-Anhängern genannt wird. Auf der To-do-Liste dürfen keine allgemeinen Punkte auftauchen wie »Geburtstagsgeschenk für Mama kaufen« oder »Steuererklärung machen«. Vielmehr muss dort der nächste konkrete Schritt stehen, zum Beispiel »zu diesem und jenem Juwelier gehen« oder »Steuerberater anrufen«.
»Wenn auf
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