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Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Baumeister
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York, die Entscheidung so schwer? Er entschied sich für c – und reihte sich damit in die lange Liste von Politikern und Managern ein, die ihre Karrieren mit unerklärlichen und dummen Entscheidungen ruiniert haben. Spitzer, der sich in seiner Zeit als Staatsanwalt die Verfolgung der Prostitution auf die Fahnen geschrieben hatte, traf sich nicht nur mit Kristen, sondern bezahlte das Schäferstündchen mit einer Überweisung von seinem privaten Konto, die sich jederzeit nachvollziehen ließ. Er wusste, dass er als Gouverneur keine Sekunde lang unbeobachtet war und kannte die Risiken der Prostitution. Während seiner langen politischen Karriere hatte er sich einen Ruf für politische Klugheit, strenge Disziplin und moralische Aufrichtigkeit erworben. Warum war er plötzlich, am Ziel seiner Träume, von diesem Kurs abgekommen? Hatte ihm die Macht die Sinne so weit vernebelt, dass er sich unverwundbar fühlte? Oder war er schon immer ein Narziss gewesen? Fühlte er sich im Grunde unwürdig? Oder hatte er nach den vielen Privilegien, die er in seiner Machtposition genoss, ganz einfach das Gefühl, dass ihm alles zustand, was er wollte?
    Wir wollen Spitzer nicht auf die Couch legen. Wir wollen nur auf einen weiteren Faktor hinweisen, der in seinem Fall sicher eine Rolle spielte, genau wie bei so vielen anderen Ausrutschern, mit denen Führungspersönlichkeiten ihre Karrieren und Familien zerstörten. Als sich Spitzer mit einer Prostituierten einließ, der Gouverneur vonSouth Carolina in Buenos Aires heimlich seine Freundin traf und Bill Clinton sich von seiner Praktikantin verwöhnen ließ, wurden sie Opfer eines typischen Berufsrisikos von Entscheidern. Das Problem der Entscheidungsmüdigkeit 68 beeinträchtigt alles Mögliche: die Laufbahn von Politikern und Managern genauso wie die Urteile von Richtern und anderen Menschen, denn es schlägt sich im Verhalten nieder. Leider sind sich die wenigsten dessen auch nur bewusst. Auf die Frage, ob Entscheidungen ihre Willenskraft schwächen, würden die meisten von uns vermutlich mit Nein antworten. Aber die Entscheidungsmüdigkeit erklärt, warum ansonsten vernünftige Menschen plötzlich Kollegen und Angehörige anschreien, Geld zum Fenster hinauswerfen, sich mit Junkfood vollstopfen und sich vom Autohändler überreden lassen, die vollverzinkte Karosserie zu wählen.
    Auf diese Gefahr stieß Jean Twenge, Postdoktorandin in Baumeisters Labor, die sich in das Thema Selbstdisziplin einarbeitete, während sie ihre Hochzeit plante. Während sie sich in das Radieschen-Experiment vertiefte, erinnerte sie sich an eine kräftezehrende Erfahrung, die sie kurz zuvor gemacht hatte. Sie hatte nämlich einen Hochzeitstisch organisiert, diese sonderbare Tradition zur Erpressung von Freunden und Verwandten. Eigentlich dürfen sich nur Kinder Geschenke wünschen, und auch nur vom Christkind, aber der Hochzeitstisch ist eine Ausnahme, weil er angeblich alle Beteiligten entlastet. Die Gäste müssen nicht lange nach Geschenken suchen und das Paar muss nicht befürchten, am Ende 37 Suppenschüsseln und keine einzige Schöpfkelle zu bekommen. Ganz stressfrei ist die Angelegenheit trotzdem nicht, wie Twenge erkennen musste, als sie und ihr Zukünftiger sich eines Nachmittags mit der Hochzeitsfachverkäuferin einer Kaufhauskette zusammensetzten, um ihre Wunschliste zusammenzustellen. Wollten sie ein gemustertes Geschirr? Wenn ja, welches Service sollte es sein? Welches Besteck? Welche Sauciere genau? Welche Handtücher? In welcher Farbe?
    »Am Ende hätte ich alles genommen«, gestand Twenge ihren Kollegen im Labor. An diesem Abend hatte sie am eigenen Leib erlebt, wiees sich anfühlt, wenn die Willenskraft erschöpft wird. Zusammen mit anderen Psychologen dachte sie sich einen Test aus, um ihre Erlebnis wissenschaftlich zu beschreiben. Sie erinnerte sich, dass ein Kaufhaus in der Nähe des Labors einen Räumungsverkauf veranstaltete, und kaufte so viele Geschenke, wie es das Laborbudget hergab – keine edlen Hochzeitsgeschenke, eher Glasperlen für die Studenten.
    Im ersten Experiment wurde den Versuchsteilnehmern ein Tisch gezeigt, auf dem die verlockenden Waren aufgebaut waren. Twenge sagte ihnen, dass sie am Ende des Experiments einen Gegenstand behalten durften. Dann sollten einige der Teilnehmer Fragen beantworten, von denen sie annahmen, dass sie in Zusammenhang mit dem Produkt standen, das sie am Ende mitnehmen durften. Sie mussten eine Reihe von Entweder-oder-Entscheidungen treffen:

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