Die Macht der ewigen Liebe
wieder weggelegt. Ich weiß noch, als ich es zum ersten Mal in der Bibliothek gesehen habe, habe ich es für reine Mythologie gehalten. Von jemandem wie dir hatten wir noch nie gehört, Remy, nur in Geschichten.«
»In dem Buch geht es noch um eine Menge mehr«, sagteLucy. »Darin steht, dass es andere wie Remy gab. Hört mal zu …« Sie schlug eine Seite auf und las laut vor
»Vor Kindern, in deren Adern das Blut von Heilerinnen als auch Beschützern fließt, sollte man sich in Acht nehmen. Diese Mischlinge neigen dazu, mit dem Älterwerden mächtiger zu werden. Das heißt: Wir vermuten, sie erlangen schließlich derartige Kräfte, dass sie alle unsere Artgenossen in Gefahr bringen könnten und deshalb ausgerottet werden sollten, bevor sie uns zerstören.«
Sie sah zu mir auf. »Meinst du, diese Macht, von der da gesprochen wird, bezieht sich auf die Art, wie du anderen Schmerzen zufügen kannst?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich.
Als ich auf diesen Abschnitt gestoßen war, hatte sich mir bei der Vorstellung, wie kleine Babys umgebracht wurden, weil irgendwelche Mistkerle Angst davor hatten, was sein könnte, der Magen verknotet. Im Geiste zeigte ich dem Autor den Stinkefinger, weil er uns mit Vieh gleichsetzte. Das Buch beschrieb nicht, welcher Art unsere Macht war, ich hatte allerdings nicht weitergelesen, nachdem ich von unzähligen Möglichkeiten erfahren hatte, wie man sich der »Mischlingsbabys« entledigen konnte. Bei dem Gedanken, dass mein Großvater solch ein Buch besessen hatte, wurde mir übel, und ich fragte mich, wie viel er davon glaubte.
»Es könnte darum gehen, inwiefern sie Unsterblichkeit heilen können. Was allerdings voraussetzen würde, dass sie wussten, dass Beschützer unsterblich werden könnten. Wird das in dem Buch erwähnt?«, fragte Asher.
Lucy schüttelte den Kopf.
»Und was hat das mit Remys Bünden zu tun?«, wollte Erin wissen.
»Dem Thema ist ein Abschnitt gewidmet«, sagte Lucy.
Asher und Gabriel sahen mich an und verzogen hilflos das Gesicht. Ich konnte mich nicht erinnern, darüber etwas gelesen zu haben. Vielleicht hatte es in dem Teil des Buches gestanden, den ich nur überflogen hatte.
»Also, was steht drin?«, fragte Asher. »Weißt du, Heilerinnen und Beschützer sind die ganze Zeit Bünde eingegangen. Wie kommst du darauf, dass Remy keinen Bund mit Lottie haben könnte?«
Das unbehagliche Gefühl kehrte zurück, und ich legte meine Gabel beiseite.
»Na ja, direkt lieben tun sie sich ja nicht gerade. Sorry, Lottie, nix für ungut.«
»Schon klar«, erwiderte Lottie.
»Was hat das denn damit zu tun?«, fragte Gabriel. »Um Gefühle geht’s dabei doch gar nicht, sondern um austauschbare Macht. Darum, dass die Energie des einen die des anderen stärken kann. Und andersherum.«
Gabriel und Asher wirkten beide angespannt. Sie hatten sich inzwischen auf ihren Stühlen vorgebeugt und starrten Lucy eindringlich an. Lucy kriegte das nun auch endlich mit, und ihre Verwirrung war spürbar, während sie sich einen Reim darauf zu machen versuchte, wieso das den beiden so wichtig war. In meinem Hals steckte ein Kloß der Furcht, um den ich herumschluckte, und ich verschränkte die Hände im Schoß in einer sehr angespannten Ruhe vor dem Sturm.
Lucy sprach mit stockender Stimme, und ihr Blick huschte immer mal wieder sorgenvoll zu mir. »Ähm, bei Remys Bünden schon. Um Gefühle, meine ich. In dem Buch steht, dass vollblütige Heiler und Beschützer gegen ihren Willen Bündeeingingen, Remys Artgenossen da aber anders tickten. Manche gingen überhaupt keinen ein, andere mehrere – und ihre Gefühle waren grundsätzlich mit im Spiel. Mal schauen, ob ich mich noch genau erinnern kann, was darüber geschrieben wurde …«
Nein, Lucy. Bitte sag es nicht!
Sie hielt inne, überlegte und schnipste dann mit den Fingern. »Richtig! Jetzt weiß ich’s wieder. In dem Buch steht, dass sie ihre Bünde gemäß ihrer Herzen eingingen.«
Lucys Verkündigung wurde mit vielsagendem Schweigen aufgenommen. Ihr Blick sprang von Asher zu Gabriel und dann zu mir. Schlagartig machte sich auf ihrem Gesicht eine Erkenntnis breit, als sie in meinem Gesicht die Trauer entdeckte, die ich nicht mehr verbergen konnte. Zu spät realisierte sie, wieso das eine Rolle spielte. Sie stellte eine Verbindung zwischen meiner Situation, der von Gabriel und Asher und dem Zustand unserer Bünde her. Unsere Augen trafen sich, und ihre waren voller Bedauern.
Der Tisch wackelte, als Asher abrupt aufstand
Weitere Kostenlose Bücher