Die Macht der Macht
Fahrzeuge-Zulassungsverordnung. Die Verantwortung will keiner übernehmen. Am 9. Juni schließlich, fünf Monate später, trifft der Leiter des Einsatzführungsstabs eine einsame Entscheidung. Er ordnet an, dass die Soldaten in Afghanistan ihr Fernmeldegerät provisorisch einbauen dürfen. Ohne Ausnahmegenehmigung«.
Diese und ähnliche Geschichten kennt jeder von uns, wenngleich hoffentlich nicht immer aus Situationen mit ähnlich lebensbedrohlichen Begleitumständen. Prozessesind rigide, Abweichungen werden nicht geduldet oder zumindest mit erheblichem Widerstand bekämpft. Je größer das Unternehmen, desto mehr Abteilungen sind zu beteiligen, und je mehr Beteiligte, desto länger kann sich die Sache hinziehen. Das Ergebnis ist meist nur der kleinstmögliche Nenner. Die Hüter dieser Prozesse sind stur und mächtig.
Bürokratie ist nichts spezifisch Deutsches. Wenn es Sie tröstet, bei uns funktioniert Bürokratie oft sogar vergleichsweise schnell und problemlos. Hans-Jürgen Schlamp berichtet für Spiegel Online von seinen Erfahrungen mit der italienischen Bürokratie: Da er in Italien ein Haus gekauft hat, muss er sich zur Müllgebühr anmelden. Von der Müllverwaltung im Rathaus führt ihn sein Weg zur Equitalia, einer Agentur, die ausgelagerte Arbeiten für viele italienische Kommunen übernimmt. Von dort geht es zurück ins Rathaus, zunächst in ein Büro im Erdgeschoss links, dann zur Stadtkasse … Hans-Jürgen Schlamp resümiert: »Der Ausgang der kleinen Bürokraten-Posse ist noch offen. Weitere Erkundungen sind nötig. Das kann dauern.«
Bürokratie ist keineswegs ein Spezifikum der öffentlichen Verwaltung. Jedes Unternehmen hat eine Verwaltung. Sie ist für all die Aktivitäten zuständig, die zur Lieferung eines Produktes oder einer Dienstleistung nötig sind, ebenso zur Führung aller Unterlagen. Dazu gehören beispielsweise die Personalabteilung, Controlling, Rechnungswesen, der Vorstandsstab und viele andere. Wenn Sie mit einem großen Unternehmen kommunizieren oder in einem großen Unternehmen arbeiten, treffen Sie häufig auf die gleichen Probleme wie in der öffentlichen Verwaltung.
Vor etwa 150 Jahren waren große Organisationen oder Unternehmen von wenigen Ausnahmen abgesehen schlichtweg unbekannt. Einfache Unternehmen konnten natürlich mit einer einfachen Struktur arbeiten. Mit wachsender wirtschaftlicher Dynamik und den wachsendentechnischen Möglichkeiten wuchs der Bedarf an komplexeren Strukturen. Die beste Antwort darauf war eine klar organisierte Bürokratie. Bürokratie bedeutet eine – durchaus positiv gemeinte – »Herrschaft der Verwaltung«, das heißt die organisierte Abwicklung von (Verwaltungs-)Tätigkeiten mit eindeutigen Verantwortlichkeiten nach klaren Regeln in einer festen Hierarchie. Regeln und Standards sicherten und sichern das geordnete Vorgehen und verlässliche Prozesse. Verteilte Aufgaben und eindeutig definierte Kompetenzen ermöglichen die Bearbeitung auch komplexer Sachverhalte. Jeder weiß, was er zu tun hat und was er tun darf. Beaufsichtigt wird das Ganze von Vorgesetzten, die in einer eindeutigen Hierarchie über entsprechende Befugnisse verfügen. Die Macht in dieser Form der Organisation speist sich aus der Akzeptanz der Legitimität der Regeln und der Verlässlichkeit ihrer Anwendung. Die grundlegenden Annahmen dazu stammen von Max Weber aus seinem Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie .
Schlüsselpositionen im Unternehmen
In jedem Unternehmen finden sich analog zum bürokratischen Prinzip klar definierte Entscheidungswege und Prozesse, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Und an diese ist die Macht jedes Stelleninhabers gekoppelt. Seine Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, Erlaubnisse zu erteilen oder Sanktionen auszusprechen, kann das Objekt dieses Prozesses unterstützen oder behindern.
Negative Wirkungen dieser Prozesse entstehen immer dann, wenn die Inhaber der entscheidenden Positionen nur nach formalen Kriterien agieren, wenn ihnen die nötige Nähe zum operativen Geschehen fehlt oder wenn sie Regeln um der Regeln willen und nicht ergebnisorientiert anwenden. Und natürlich immer dann, wenn dieMacht um der Macht willen ausgeübt wird und nicht auf das Erreichen des gemeinsamen Ziels gerichtet ist.
Schwierig wird der Prozess auch dann, wenn eine Bürokratie zu groß und damit zu komplex wird. Zu viele Hierarchieniveaus, die Beteiligung zu vieler Personen oder Positionen an der Entscheidung, die
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