Die Macht der Seelen 1 - Finding Sky
ich ihm den Schnee in den Kragen, woraufhin er ein für ihn untypisches Krächzen von sich gab.
»Na schön, dann herrscht Krieg!« Er rollte mich auf den Rücken, aber ich strampelte mich frei, rang lachend nach Luft. Ich rannte los, aber er hatte mich nach wenigen Schritten eingeholt und lupfte mich hoch. »Ab in die Schneewehe mit dir.« Er entdeckte eine Stelle, an der sich der Schnee hochtürmte, und versenkte mich halb darin.
»Zu den Waffen!« Schnell formte ich einen Schneeball und zielte auf Zed. Der Schneeball machte in der Luft eine scharfe Kehre und traf mich mitten ins Gesicht.
»Das war unfair!«
Zed bog sich vor Lachen angesichts meiner Entrüstung.
»Jetzt reicht’s! Das kann ich auch!« Wie bei dem Vorfall mit dem Ei stellte ich mir vor, dass ich an dem schneebeladenen Ast, unter dem er gerade stand, zog und dann unvermittelt losließ. Der Ast schnellte zurück und Zed wurde mit Schnee überschüttet. Hochzufrieden mit dem Ergebnis rieb ich mir die Hände. »Nimm dies!«
Zed schüttelte sich Eisklümpchen von der Mütze. »Wir hätten dir nie erzählen dürfen, dass du ein Savant bist. Du bist ja gemeingefährlich.«
Ich hüpfte auf und ab und klatschte dabei in die Hände. »Ich bin gefährlich, gemeingefährlich! Juhu, ich bin gefährlich!«
»Aber noch nicht so geübt!« Der Schnee unter meinen Füßen rutschte weg und ich landete wieder rücklings im Schneehaufen, mit Zed über mir, der drohend einen Schneeball in den Händen hielt. »Also, wie war das noch mal mit meinen Snowboardkünsten?«
Ich lächelte. »Definitiv eine Zehn, nein, eine Elf.«
Er warf den Schneeball zur Seite. »Gut. Ich bin froh, dass du’s endlich einsiehst.«
Am Nachmittag zog ich mich für eine Weile zurück und spazierte allein durch den Wald hinter dem Haus der Benedicts. Ich wollte mich in Ruhe mit den von Uriel freigesetzten Erinnerungen befassen. Nach dem tödlichen Streit zwischen meinen Eltern - ich ertrug es nicht, weiter darüber nachzudenken - war meine frühe Kindheit ein chaotischer Albtraum gewesen, geprägt von dauernden Ortswechseln, zunehmender Vernachlässigung und einem Mangel an Liebe. Unerträglich aber war es erst geworden, als sich meine Tante mit ihrem Drogen vertickenden Typen zusammengetan hatte.
Was war mit dem Rest meiner Familie passiert?, fragte ich mich. Hatten meine Mutter und mein Vater keine Eltern oder Großeltern, keine weiteren Geschwister gehabt, die mich hätten aufnehmen können? Das Ganze war ein Rätsel und ich fürchtete, dass die Auflösung mich nicht sonderlich froh machen würde. Mit sechs Jahren hatte ich nur eine vage Vorstellung von meiner Lebenssituation, ahnte aber, dass die beiden Erwachsenen, von denen ich abhängig war, nicht verlässlich waren. Ich hatte ein erbärmliches Dasein gefristet; da ich nicht wusste, wie ich sie dazu bewegen konnte, mich zu lieben, hatte ich mich abgeschottet und damit begonnen, mich leise gegen den Unmenschen Phil zur Wehr zu setzen, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mir wehzutun.
Im Grunde genommen bewunderte ich mein kindliches Ich dafür, auch wenn ich mir jede Menge Schmerzen hätte ersparen können, wenn ich mich einfach still verhalten hätte.
Ich versuchte krampfhaft, mir mehr in Erinnerung zu rufen. Meinen Namen. Das schien so etwas Banales zu sein, woran ich mich doch erinnern sollte.
»Sky, alles in Ordnung?« Zed fand, dass ich lange genug nachgegrübelt hatte, und war, mit einem Thermobecher bewaffnet, auf die Suche nach mir gegangen.
»Mir geht’s gut. Ich denke bloß nach.«
Er reichte mir den Becher. »Du hast lange genug nachgedacht. Hier bitte, ich habe dir einen Kakao gemacht. Nicht so gut wie im Café, ich weiß, aber er wird dich ein bisschen wärmen.«
»Danke, ich kann eine Schoko-Dosis gerade gut gebrauchen.«
Er fasste mich am Ellbogen und führte mich zurück in Richtung Haus.
»Wusstest du, dass Schokolade einen Stoff enthält, der glücklich macht?«
»Für Schokolade brauche ich grundsätzlich keine Entschuldigung.« Ich nahm einen kleinen Schluck und schielte dabei seitlich zu ihm hinüber. In den Haaren, die vorne unter seiner Mütze hervorlugten, hingen ein paar Schneeflocken. Seine Augen waren heute fröhlich - wie das blasse Grünblau der seichten Stellen im Fluss, wenn die Sonne darauffiel. »Und du? Hast du vielleicht etwas von diesem Stoff intus?«
»Häh?«
»Weil du so glücklich aussiehst.«
Er lachte. »Nein, das liegt nicht an Schokolade, sondern an dir. Genau das
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