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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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eigentlich leer sein.« Ihre Hände zitterten nervös vor ihrem Gewand und griffen nach den ausgefransten Enden eines Schals, den sie überhaupt nicht mehr trug.
    »In dieser Stadt funktioniert nicht mehr viel. Sie stirbt, wie ein alter Mensch. Einige Teile arbeiten noch, andere nicht mehr. Sie gewährt kranken Menschen Einlaß. Können wir dir helfen?«
    »Es geht mir jetzt besser… ich fühle es. Ist das eine Klinik?«
    »Alle Städte wurden mit medizinischen Einrichtungen für ihre Bewohner errichtet. Dich hat man draußen auf dem Pflaster gefunden – du bist aus einer moslemischen Stadt, nicht wahr?«
    »Ich habe Akkabar brennen sehen. Meine Stadt. War das nur ein Traum?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Leider nein. Akkabar wurde vor zwei Wochen zerstört. Wir haben es von der Turmgalerie aus gesehen, fast von ganz oben. Ich glaube nicht, daß es viele Überlebende gab. Du bist die einzige in Wiederauferstehung. Das ist der Name dieser Stadt. Du mußt fünfzig, sechzig Kilometer weit gelaufen sein.«
    Sie ließ das für einen Moment auf sich wirken, streckte dann die Hand aus und berührte ihn, um festzustellen, ob er überhaupt real war. Er betrachtete ihre auf seinem Arm liegenden Finger, und sie nahm sie schnell weg und trat zurück. »Ich… wir haben Geschichten gehört, daß die Städte etwas hergestellt haben, das wie Menschen… wie wir aussieht. Es gab so einen in Akkabar, als ich noch ein Mädchen war. Jemand hat ihn in einem Duell getötet. Sein Inneres sah aus wie eine Pflanze und eine Maschine. Bist du ein Mensch?«
    »Aus Fleisch und Blut. Wir sind alle Menschen. Die meisten von uns kommen aus Bethel-Yakob. Warum gehst du nicht wieder in deinen Raum…«
    »Ich würde lieber hierbleiben.«
    »Wie du willst.«
    »Hat die Stadt euch auch geheilt?«
    Er nickte. »Der Großteil der Einwohner der Expolis Kapernaum wurde von Durragon und seinen Jägern abgeschlachtet. Wir wurden nur verwundet.«
    Reah schüttelte langsam den Kopf und wußte nicht mehr, was sie glauben sollte. »Ich erinnere mich, daß ich durch ein Dorf der Habiru gekommen bin. Deines?«
    »Wahrscheinlich nicht. Ich stamme aus einem Dorf zwanzig Kilometer nordöstlich von hier.«
    »Wann wird Durragon uns angreifen?«
    Der Mann lächelte. »Das wird er nicht. Die Stadt gewährt nur verwundeten Menschen Zutritt. Wir gehören hier alle zusammen. Patienten.« Er rollte einen Ärmel hoch und zeigte ihr seinen Oberarm. Er war mit einer milchigweißen, hautengen Bandage umwickelt.
    Reah schaute hoch und schloß die Augen. Oberhalb der Passage schien sich ein Schacht aus Orange und Rot und Weiß in die Unendlichkeit zu erstrecken. Sie schaute erneut hin und sah, daß die weißen Bänder kreisförmig angeordnete, rechteckige Balkone waren und die roten horizontalen Streifen massive Stützstreben darstellten. Das Rot wurde von orangefarbenen abstrakten und geometrischen Elementen aufgelockert. Es war pure Magie, ein Luftschacht in einer lebenden Stadt. Sie war zwar kein Ifrit mehr, zehrte aber noch immer von der Substanz der Legenden. »Wer ist Durragon?«
    »Ein Tyrann, ein Schlächter.« Der Mann kräuselte fast theatralisch die Lippen. »Er fühlt sich als neuer Herodes, als Cäsar.«
    Ihre Gedanken schienen sich zu überschlagen. Sie war es nicht gewohnt, klare Überlegungen anzustellen. Wieviel einfacher es doch war, von Wahnvorstellung zu Wahnvorstellung zu driften… und wieviel schrecklicher! Sie erinnerte sich an nichts anderes als an Angst. Sie folgte dem Mann zurück in ihren Raum, setzte sich auf die Koje und roch die Sauberkeit, die Ordnung, die Menschlichkeit. »Du«, rief sie dem Mann nach, als er gehen wollte. Er wandte sich um und zog eine Augenbraue hoch. »Weißt du…« Sie verstummte. »Ich werde mich nie mehr fürchten, nicht auf diese Art.«
    Er nickte. »Mein Name ist Belshezar Iben Sulaym. Und wie heißt du?«
    »Reah«, erwiderte sie. »Frau des Abram Khaldun.«
    »Ist er tot?«
    »Seit Jahren schon«, sagte sie.
    »Du hast noch um ihn geweint, vor drei Nächten.«
    »Jetzt nicht mehr. Nichts ist so viel Trauer wert.«
    Er lächelte freundlich und ging.
     
    »Gerat, Manuay, Persicca und Tobomar; sie haben vier Städte erobert und sechzehnhundert Rinder erbeutet. Dreihundert Frauen und kleine Jungen gefangengenommen, dreihundert Tonnen diverser Getreidesorten entdeckt sowie einige Waffen, die sie behalten durften.« Breetod ging langsam die Liste durch, wobei er auf die hingekritzelten Zahlen schielte. Sein

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