Die Macht der Steine
Kleiderständer richtete seine Antennen aus, und die Tür schwang auf und gab den Blick in eine Art Wandschrank frei. Reah schaute hinein und sah etliche merkwürdige Maschinen an den Wänden. Eine sah aus wie ein aus Gartenpflanzen gefertigtes Schaukelpferd, und bei einer anderen handelte es sich um einen robotischen Oktopus. Es gab eine Kollektion von Puppen, die ihr bis ans Knie reichten und von denen jede einzelne sehr detailliert und lebensecht war. Zur Hälfte stellten die Puppen Erwachsene dar, zur Hälfte Kinder.
Das Spielzeugpferd erhob sich ungelenk und gab einen Laut wie raschelndes Zellophan von sich. Ein Bein fiel ab, und das Pferd stürzte um und krachte mit dem Kopf auf den sich windenden Oktopus. Beide zerbröselten zu Glasscherben, und ein starker Geruch nach Kunstharz erfüllte den Schrank. Zwei Puppen marschierten heraus und schauten fragend zu ihr auf.
»Damit haben wir gespielt«, eröffnete die Erwachsenen-Puppe, wobei sie sich des alten englischen Idioms bediente. Reah wich keuchend zurück – die Geister zweier Kinder waren aus der Wand über dem Bett materialisiert, herabgeklettert und hatten sich neben die Puppen gekniet. Der Kleiderständer registrierte ihren Schock, ließ die Kinder sofort verschwinden und schloß die Puppen weg.
»Wir bedauern es, falls du dich erschreckt haben solltest«, sagte er und rollte auf sie zu. Sie schüttelte den Kopf und streckte die Hand aus.
»Ich bin an so etwas nicht gewöhnt – an Geister.«
»Wir haben das Gegenteil angenommen. Du hast doch schon gesehen, wie solche Gestalten in der Stadt als Führer eingesetzt werden.«
»Ja, aber doch keine Kinder. Nicht die Geister von Kindern. Sie sind tot…«
Ihre Stimme versagte. »Mein Kind ist auch tot und kann nicht zurückkommen. Warum sollten dann diese Kinder noch lachen und spielen? Bring mich zurück zum anderen Haus.«
Der Kleiderständer zögerte zunächst, folgte dann jedoch der Anweisung.
Der alte Habiru saß auf einem Felsen vor der stacheligen Barrikade der Stadt und dachte nach. Breetod stand mit gelangweiltem Blick neben ihm. Durragon erachtete den alten Mann für wertvoll und hatte daher eine Wache für ihn abgestellt. Monat um Monat zog ins Land, und die Jäger wurden immer aufsässiger.
»Nun«, sagte der Habiru und atmete tief durch. »So wird es funktionieren. Wird Durragon herkommen, oder soll ich ihn aufsuchen?«
»Ich glaube, daß du besser zu ihm gehst.«
Nachdem er sich erhoben hatte, drückte der alte Mann die Knie durch und folgte Breetod durch das Lager zu Durragons Zelt. Der erste Schimmer der Morgendämmerung blendete die Sterne mit schnell dahinjagenden, orangefarbenen Schäfchenwolken aus. Breetod stand an der Zeltöffnung und schlug sie für den Habiru zurück.
Drinnen saß Durragon und aß einen Apfel, der von einem der wilden Bäume in der Nähe des Lagers gepflückt worden war. Der Habiru verharrte einen Moment neben ihm und wartete darauf, daß der Feldherr Notiz von ihm nahm.
»Alles in Ordnung, ja?«
»Du wirst zehn von uns verwunden und uns durch die Barrikade bringen. Ich möchte, daß der Muslim Musa Salih uns begleitet… und Breetod auch.«
Breetod hob die Augenbrauen, verkniff sich aber eine Bemerkung.
»Du glaubst, daß die Stadt uns Zugang gewähren wird?«
»Vielleicht.«
»Was wirst du tun, wenn du hineingelangt bist?«
»Wir wissen, wie einige der denkenden Stadt-Teile aussehen. Wenn sie nach der Zusammensetzung der Stadt nicht im Hauptkörper verschwinden, könnten wir sie finden und für uns gewinnen. Das wird lange dauern, Jahre vielleicht. Wir können dann die Stadt dazu zu veranlassen, daß sie ihre Barrieren abbaut und deine Armee einläßt.«
Durragon schauderte. »Der Himmel möge das verhüten. Die Jäger verfolgen die Städte – aber sie wissen nicht, wie man sich im Innern einer Stadt verhält. Und wozu brauchst du Musa Salih?«
»Er wird mit der moslemischen Frau in der Stadt sprechen und sie davon überzeugen, daß wir nichts Böses wollen.«
»Nur für den Fall, daß sie wirklich die Stadt kontrolliert, was? Warum ist sie immer noch drin, während die anderen verjagt worden sind?« Durragon warf den Apfelrest in einen Nachttopf aus Messing.
»Vielleicht hat sie sich noch nicht ganz erholt«, gab Nebeki aus dem Hintergrund des Zeltes zu bedenken.
»Nein, sie ist gesund«, wußte der alte Mann. »Jedenfalls behauptet dieser Bursche Belshezar das. Und Belshezar sollte auch mit uns kommen.«
»Welche Verwundungen soll ich
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