Die Macht der Steine
dir beibringen?«
Der alte Mann lächelte düster. »Keine schweren. Schnittverletzungen an den Beinen, auf dem Rücken und vielleicht noch an den Armen.«
»Wirklich keine schweren, hä? Was, wenn die Stadt bemerkt, daß die Verwundungen nur leicht sind und dich nicht hineinläßt?«
»Dann werden wir uns eben selbst heilen. Das haben wir auch früher schon getan.«
»Mir gefällt der Plan nicht«, sagte Breetod stirnrunzelnd. »Im Kampf verwundet werden ist eine Sache.
Aber kampflos dastehen und sich verwunden lassen, ist dann doch eine andere.«
»Dann werde ich gehen«, sagte Nebeki und erhob sich. »Ich wollte schon immer einmal das Innere einer Stadt sehen.«
Breetod schaute ihn düster an und schüttelte den Kopf. »Nein danke. Ich werde gehen, aber deswegen müssen mir die Vorbereitungen ja nicht gefallen, oder? Geh und treibe Freiwillige auf – sechs, stimmt’s? Außer dir, dem Moslem und Belshezar.«
Ezeki nickte. »Wir können schon heute morgen gehen, so früh wie möglich. Vergangene Nacht war in der Stadt alles ruhig – man könnte sagen, sie hat gut geschlafen. Die meisten Städte sind nämlich unruhig, selbst wenn sie sich schon lange an einem Ort befinden.«
»Manche sagen, daß sie Alpträume haben«, warf Durragon ein und starrte Ezeki an. »Glaubst du, daß sie träumen, alter Mann?«
Er schüttelte den Kopf. »Jedenfalls nicht von guten Zeiten. Sie träumen von unseren mannigfaltigen Sünden, General, die sie so empört hatten, daß sie uns auskotzten.«
»Dann ist das, was wir vorhaben, so, als ob wir eine Frau vergewaltigten, die uns abweist, eh? Nobler Plan, echt.« Durragon erhob sich, und Nebeki reichte ihm sein Kettenhemd. Als er es angelegt hatte, bedeutete Durragon dem Läufer, das Zelt zu verlassen. »Bist du noch immer religiös, alter Mann?« fragte er. Der Habiru hob die Schultern.
»Kein gerechter Gott würde jemanden wie dich – oder einen Verräter wie mich – lange leben lassen. Der größte Teil unserer Religion ist in Städten begraben, die uns den Blick darauf verwehren. Wir haben unsere Bücher nicht mitgenommen, als wir ins Exil gingen, General. Keinen Talmud, nur ein paar Bände des Pentateuch, der Geschichte der Erde. Einen Satz Magnetbänder. Sonst nichts. Die meisten dieser Bänder sind jetzt vernichtet bzw. wir haben keine Lesegeräte.«
»Aha, um das Wissen hervorzuholen! Die Informationen, mit denen wir so leben könnten, wie unsere Vorfahren es taten – zu den Sternen reisen und Dinge tun, welche die heutigen Menschen als Zauberei bezeichnen würden. Meine Religion besagt, daß die Menschen wie Gott sein sollen. Und welche Religion hast du?«
Der alte Mann antwortete nicht.
»Manchmal spreche ich im Schlaf mit den Göttern und rufe sie der Reihe nach auf. ›Kommt, redet, zeigt euch‹, sage ich, und sehe sie vorbeistaksen, Schattengestalten, die meine Fragen entweder mit meiner eigenen Stimme beantworten oder mit der Stimme eines Wesens, das mir sehr ähnlich ist, sich aber tief in meinem Inneren verbirgt. Nie mit ihren eigenen Stimmen. Da drängt sich doch die Vermutung auf, daß alle Götter Kriecher und Diener sind. Müssen früher mal andere Kerle gewesen sein, eh? Bevor brennende Büsche und Stimmen in den Bergen zum Alltag gehörten und die Menschen die Regie übernommen haben.«
»Viele Führer haben sich schon für Götter gehalten«, stellte Ezeki fest. »Das ist ein gefährlicher Trugschluß. Womöglich glaubt dir das am Ende noch jemand.«
»Ich bin kein Gott; ich habe auch nie einer sein wollen«, wiegelte Durragon ab. »Kein Gott würde sich nämlich eine Truppe wie die Jäger halten, und was wäre ich ohne meine Truppen? Nicht mehr als du – vielleicht noch weniger. Du weißt, warum sie mich den Apostaten nennen, alter Mann?«
Ezeki schaute starr geradeaus.
»Weil ich einmal Rabbineranwärter war. Was sagst du nun dazu? Ich war jung und gläubig. Dann gelangte ich jedoch zu der Ansicht, daß die Lehre der Katholiken attraktiver war. Und danach schloß ich mich einer Sekte an, die eine sehr böse, häßliche Göttin verehrte. Aber im Grunde sagte mir keine dieser Lehren richtig zu. Vom Rabbi zum Heiden und dann zum Agnostiker.«
Der alte Mann lächelte, was selten vorkam.
»Dir gefallen meine Offenbarungen, hä?« erkundigte sich Durragon. »Ein seltener Lichtstreif am dunklen Horizont. Ja, ich weiß, wie du über mich denkst. Erfrischend. Aber wir werden sicherlich nicht zusammen alt werden, nicht, wenn unsere Ambitionen so
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