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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Spalt und mischte sich mit der Dunkelheit zu einer schaurigen Düsternis. Es war kurz vor Mitternacht. Gebeugt stieg Agatha die Treppe empor und neigte lauschend den Kopf, während sich ihre Hände um die Balustrade krampften. »Frederic?«, flüsterte sie. »Bist du es? Robert! Wo bist du? Ist es vollendet?«
    Auf einem Tisch fand sie eine Lampe, entzündete den Docht und trieb die Dunkelheit in den Schatten zurück. »Wer ist da?«, schrie sie. Sie fühlte eine Bewegung zu ihrer Linken und wirbelte herum. »Elizabeth? Bist du es?« Unerschrocken trat sie einen Schritt näher. »Ich habe doch gesagt, dass du nicht wiederkommen sollst! Frederic gehört jetzt mir!«
    Ein kühler Windstoß umwirbelte ihre schmale Gestalt und trug ihr ein Wispern zu. »Er ist fort … er kommt nie mehr zurück …« Ihr Blick huschte den Korridor entlang und trieb die Erscheinung ins Treppenhaus zurück. Es stimmte. Frederic war vor Tagen weggegangen und nicht zurückgekommen, seit sie ihm alles erklärt hatte. Sie dachte, er würde sie verstehen, doch jetzt war sie furchtsam.
    Paul war nicht wach geworden. Dabei müsste er doch hungrig sein. Müsste gestillt werden. Panik packte sie. Hatte Frederic ihr Kind entführt? Oder hatte Robert ihn wieder geholt? Sie hatte ihm doch gesagt, dass er dieses Mal Pierre nehmen sollte! Wieder flüsterte eine geisterhafte Stimme von unten, als ob sie ihre Gedanken lesen könnte. »Pierre, mon caillou …«
    Agatha lief die Treppe hinunter, stolperte über den Saum ihres Morgenmantels und hätte beinahe die Lampe fallen lassen. Mit schreckgeweiteten Augen erkannte sie Colette, die nach der Hand ihres kleinen Jungen griff.
    »Du!«, zischte Agatha. »Wo ist Robert?« Sie sah sich um. »Er sollte deinen Jungen entführen!« Ein wildes Lachen hallte von den Wänden wider. »Frederic soll spüren, wie es ist, wenn man ihm sein Kind aus den Armen reißt!«
    »Mein Junge ist bei mir sicher«, entgegnete Colette.
    Agathas Blicke irrten umher. »Wo ist Robert? Wo ist er?«
    Colette lächelte. »Er ist fort … mit dem anderen Kind …«
    »Mit Elizabeths Bastard?«
    »Nein. John ist bei Frederic in Sicherheit.«
    Furcht packte Agatha. »Paul?«, rief sie und suchte wie besessen in allen Ecken. »Nein! Robert hat es versprochen! Er hat versprochen, mich glücklich zu machen … hat versprochen, dass er mir Paul nie wieder wegnimmt!«
    »Aber Sie haben Robert unglücklich gemacht!«, hauchte Colette. »Er ist wütend auf Sie.«
    So war es. Robert hasste sie, weil er inzwischen wusste, dass sie ihn nur benutzt hatte.
    Die Haustür flog auf, und die kühle Nachtluft lockte sie nach draußen. »Wo ist er hingegangen?«, fragte Agatha flehend. »Wohin bringt er mein Kind?«
    Colette ging voraus. »Sie haben ihm doch befohlen, den Jungen zu ertränken …«
    Plötzlich wusste Agatha alles. Verzweifelt rannte sie der Erscheinung nach, die jedoch immer außerhalb ihrer Reichweite blieb. »O Gott!«, schluchzte sie.
    »Den haben Sie lange genug missachtet …«
    »Bitte!«, rief Agatha. »Nicht meinen Sohn! Nicht meinen Paul!«
    Der Kai war nicht weit entfernt, und Agatha rannte wie besessen zum Wasser. Sie sah ein kleines Boot auf den Wellen tanzen. »Robert! Nein! Bitte! Du hast den falschen Jungen!«
    In der Nähe des Kais standen inzwischen die ersten Holzhütten. Die Männer glaubten, einen Schrei gehört zu haben, aber sie kamen zu spät. Sie rieben sich noch den Schlaf aus den Augen, als sie ein Platschen vernahmen. Oder waren das nur die Wellen, die sich am Kai brachen? Achselzuckend kehrten sie in ihre Hütten zurück.
    Donnerstag, 30. August 1838
    Im Hafen von Richmond herrschte große Geschäftigkeit. Als John und Frederic bei der Raven anlangten, standen Jonah Wilkinson und Stuart Simons auf dem Kai. John war hocherfreut, Stuart zu sehen, denn bis zu ihrem nächsten Wiedersehen konnten unter Umständen Monate vergehen.
    »Hallo, John«, begrüßte ihn der Verwalter. »Eigentlich habe ich die Ankunft der Destiny erwartet, aber mit der Raven und Ihnen habe ich nicht gerechnet.«
    John stellte seinem Vater Stuart vor. Dann nahm er den Freund beiseite und wanderte mit ihm den Kai entlang.
    »Jonah hat berichtet, was geschehen ist«, sagte Stuart. »Es tut mir entsetzlich leid, John.«
    »Ich komme schon zurecht.« Rasch wandte er sich einem anderen Thema zu. »Erinnern Sie sich noch, dass Sie im Hafen nach einem gewissen John Ryan herumgefragt haben?«
    »Ja. Was ist mit ihm?«
    »Hat ihn denn irgendjemand

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