Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
er sich krank gefühlt.«
Paul fluchte leise. »Nun gut, Tom, was hältst du davon, wenn du für heute das Kommando übernimmst?« Als der Mann die Stirn runzelte, fügte er hinzu: »Es gibt doppelten Lohn, wenn du genauso viel schaffst wie Wade.«
»Ja, Sir!«
Paul wandte sich an die anderen. »Heute ist Tom für die Mühle verantwortlich. Macht, was er sagt. Dann gibt es bei Sonnenuntergang einen Bonus.«
Schon brüllte Tom seine Befehle.
Was jetzt? Offenbar war er in letzter Zeit zu großzügig gewesen. Inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass Frederic und John nicht auf der Insel waren und er viel zu tun hatte. Paul war ratlos, wo er jetzt noch suchen sollte. Aber Wade Remmen sollte wissen, dass er nicht nach Gutdünken freinehmen konnte! Er wurde gut genug bezahlt.
Zwanzig Minuten später ritt er am Meer entlang in die Außenbezirke der Stadt. Vor einem der bescheidenen Cottages sprang er vom Pferd und band es an den Gartenzaun. Mit den Blumen vor den Fenstern und der frisch gestrichenen Tür war das Häuschen eindeutig das hübscheste. Trotz seines Ärgers musste Paul lächeln.
Er klopfte und wartete. Dann öffnete sich die Tür … und da stand die junge Frau, mit der er am Ballabend in Fatimas Küche geredet hatte. Aber natürlich! Sie ist ja Wades Schwester! Selbst in diesem einfachen Kleid sah sie hinreißend aus. »Ist Ihr Bruder zu Hause?«, fragte er barsch, um seine Überraschung zu verbergen.
»Ja«, antwortete sie leise.
»Kann ich ihn sprechen?«
»Es geht ihm nicht gut.«
»Ich möchte ihn trotzdem sprechen.« Es wäre schön, wenn sie mich ins Haus bäte .
»Wade hat Fieber. Ich will nicht, dass er gestört wird.«
Paul schnaubte. Das war vermutlich gelogen. Durch ihre Weigerung setzte sie sich ins Unrecht.
Langsam verlor er die Geduld. »Darf ich eintreten?«
Da sie ihn nicht hereinbat, drückte er die Tür mit der Hand auf. Als er den kleinen Raum betrat, der Küche und Wohnzimmer zugleich war, lief sie schimpfend hinter ihm her.
»Wie können Sie es wagen! Dies ist unser Haus! Wenn Sie glauben, dass Sie hier schalten und walten können, nur weil Sie der allmächtige Paul Duvoisin sind, dann haben …«
Paul ging auf eine der Türen zu.
Doch Rebecca flog an ihm vorbei und blockierte den Rahmen mit ausgebreiteten Armen. »Ich habe Ihnen doch gesagt … Wade ist krank! Sie dürfen ihn nicht stören!«
»Miss Remmen! Gehen Sie zur Seite … oder ich trage Sie weg!«
Sie kniff die Lider zu Schlitzen zusammen. »Versuchen Sie es doch!«
Sie war fürwahr ein widerspenstiger Teufel, aber er hatte nicht die Absicht, sich von einem Mädchen herumkommandieren zu lassen … und sei sie noch so hübsch. Mit Schwung hob er sie in die Höhe und setzte sie auf den nächstbesten Stuhl. Sofort sprang sie wieder auf, doch bevor sie die Tür erreichte, hatte er den Raum bereits betreten.
Die Vorhänge waren zugezogen, und im Bett lag jemand und atmete schwer. Als sich Pauls Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte er Schweißtropfen auf Wades Stirn. Seine Lider zitterten, und er redete wie im Delirium. »Er glüht ja!«, rief Paul empört. »Warum haben Sie keinen Arzt gerufen?«
»Ärzte kosten Geld«, flüsterte die junge Frau. »Bitte, gestatten Sie, dass er sich ausruht. Wenn Sie ihn wecken, schimpft er mich!«
»Er schimpft Sie?« Paul war fassungslos. »Er ist doch gar nicht bei sich! Ich zahle Ihrem Bruder einen anständigen Lohn, für den er sich einen Arzt leisten kann!«
»Wade besteht darauf, sein gesamtes Geld zu sparen.« Als Paul sie verständnislos ansah, fügte sie hinzu: »Damit wir nie wieder hungern müssen.«
Beschämt wandte sie sich ab und war froh, als es klopfte. Paul folgte ihr zur Haustür. Auch er freute sich über die Unterbrechung. Es war George.
»Wo bist du gewesen?«, herrschte Paul ihn an.
»Ich habe dich gesucht. Als Wade Bescheid gesagt hat, dass er nicht arbeiten kann, musste einer von uns seine Pflichten übernehmen. Du hast lange vor mir das Haus verlassen, und anschließend habe ich dich auf den Tabakfeldern und in der Sägemühle verpasst …«
»Alles klar, George.« Paul rieb sich den Nacken. George erbot sich, Dr. Hastings zu benachrichtigen, und ehe Paul sichs versah, war er bereits zur Tür hinausgeeilt. Mit ernster Miene sah Rebecca Paul an.
»Auf dem Ball waren Sie sehr viel hübscher.« Er lächelte. »Erinnern Sie sich? In der Küche haben Sie gesagt, dass Sie mich lieben …«
Sie tat, als ob sie nichts gehört hätte.
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