Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
Vom Netzwerk:
sprechen. Gegen Mittag hatte Paul endlich Glück. Samuel Waters arbeitete für John und war soeben an Bord eines seiner Segler im Hafen eingetroffen. Als ehemaliger Sklave war der Mann sehr misstrauisch, und Paul musste alle seine Überredungskünste aufbieten, bis er erfuhr, dass Samuel Waters eine gewisse Rose Forrester kannte, deren Schwester eine gute Freundin von John Duvoisin war. Er gab Paul die Adresse.

9

    Sonntag, 13. Januar 1839 Charmantes
    Charmaine schrak aus dem Schlaf auf. Hatte Marie geschrien? Selbst der kleinste Laut weckte sie. Sie rollte sich herum und spähte in die Wiege. Aber die Kleine schlief friedlich.
    Paul war inzwischen seit beinahe drei Wochen unterwegs. Charmaine dachte ständig an ihn und zählte die Tage. In den vergangenen Wochen war sie tagtäglich in die Stadt gefahren, und auch heute machte sie keine Ausnahme. Wie immer wollten die Mädchen und die Harringtons sie begleiten.
    Vor der Abfahrt ging Charmaine noch kurz in die Kapelle. Seit vier Monaten hatte sie keine Messe mehr gehört. Doch die Ruhe des Raums spendete ihr Trost. Bisher hatte sie jeden Tag den Allmächtigen um die gesunde Rückkehr ihres Mannes gebeten und würde das auch in Zukunft so halten … bis ihre Gebete erhört würden.
    Kurz vor zehn Uhr waren sie bereits unterwegs. Da heute Sonntag war, war die Hauptstraße voller Menschen. Sie grüßten Nachbarn und Bekannte und erfreuten sich an der morgendlichen Brise, die bald genug abflauen würde. Wie immer erledigten sie einige Besorgungen, bevor sie schließlich bei Dulcie zu Mittag aßen.
    Charmaine hatte keinen rechten Appetit, was Loretta nicht entging. »Aber, Charmaine, Sie haben Ihr Essen nicht einmal angerührt.«
    »Ich bin einfach nicht hungrig«, erwiderte Charmaine.
    »Aber Sie müssen etwas essen! Schon Ihrer kleinen Tochter zuliebe. Es nützt niemandem, wenn Sie sich in Ihrem Kummer vergraben.«
    Charmaine kannte diese Bemerkungen bereits und war froh, als Yvette sie von der Antwort erlöste. »Gehen wir nach dem Essen noch zum Hafen?«
    Sie nickte. »Sehr gern.«
    Marie hatte sich die ganze Zeit nicht geregt, doch jetzt wurde sie unruhig. »Bitte, essen Sie in Ruhe weiter«, sagte Charmaine, als sie mit der Kleinen aufstand. »Ich komme nach, sobald ich Marie gefüttert habe.«
    Loretta nickte, und Charmaine ging zum Wagen zurück, den sie im Mietstall abgestellt hatten. Sie ordnete die Kissen, dass sie es bequem hatte, zog die Vorhänge zu und legte sich ihre Tochter an die Brust.
    Charmaine lächelte auf Marie hinunter, während die kleinen Lippen ihre Brustwarze umschlossen und eifrig saugten. Nach einigen Minuten verdrehte Marie die Augen, während sich die dunklen Wimpern ganz allmählich senkten. Wie immer genoss Charmaine auch heute jeden einzelnen Augenblick. »Süße kleine Marie Elizabeth«, hauchte sie. »Was uns die Zukunft wohl bringt?«
    Lebte John? Oder sah sie sich eines Tages mit Pauls Antrag konfrontiert? Normalerweise verdrängte sie den Gedanken, kaum dass er auftauchte, doch heute wollte ihr das nicht gelingen. Würde sie Paul heiraten? Vielleicht. Allerdings weniger wegen sich selbst, als wegen Marie und ihm. Sie wusste, dass Paul litt und dass er sie liebte. Ja, wenn das Schicksal sie zwang, mit diesem schweren Verlust zu leben, wollte sie es in Erwägung ziehen.
    Plötzlich wurde die Wagentür aufgerissen. »Was ist denn hier los?« Ein zahnloser Kerl starrte zu ihr herein und wischte mit der Hand den tabakbraunen Spuckefaden weg, der ihm aus dem Mundwinkel rann.
    Entsetzt raffte Charmaine ihr Mieder zusammen. »Ich muss doch sehr bitten, Sir! Dies ist mein Wagen!«
    Er blinzelte. »Sind Sie die neue Mrs Duvoisin?«
    »Ja, genau. Und wer sind Sie?«
    »Martin St. George«, antwortete der Mann. Der Name förderte weit zurückliegende Erinnerungen zutage. »Martin, der Hufschmied?«
    »Genau der. Und was machen Sie hier drinnen?« Seine Blicke irrten in alle Winkel, als ob sie einen versteckten Liebhaber suchten. Das Kind in ihren Armen schien er gar nicht zu sehen.
    Mit einem Mal prustete Charmaine los, wie sie seit langem nicht mehr gelacht hatte. Und ihn habe ich damals in der Nacht für John gehalten! Nicht zu fassen!
    Marie begann zu schreien, aber Charmaine beruhigte sie schnell.
    »Was ist denn so lustig?«
    Seufzend wischte sich Charmaine die Tränen ab. »Nichts, überhaupt nichts.«
    Der Widerling spuckte ins Heu und stapfte kopfschüttelnd davon. Immer noch kichernd richtete Charmaine ihre Kleidung, bevor sie mit der

Weitere Kostenlose Bücher