Die Macht des Zweifels
sein Gesicht schwebt mir vor den Augen. »Ich weië, schluchze ich. »Ach Caleb, ich weiÃ. Ich hab gedacht, ich könnte das. Ich hab gedacht, ich würde das packen. Aber ich hab einen Fehler gemacht.« Ich sacke gegen seine Brust, warte darauf, daà er seine Arme um mich legt.
Er tut es nicht.
Caleb macht einen Schritt zurück, rammt die Hände in die Taschen. Seine Augen sind rot gerändert, gequält. »Welchen Fehler meinst du, Nina? Daà du einen Menschen getötet hast?« fragt er rauh. »Oder daà du es nicht getan hast?«
»Ein Jammer ist das, wirklich«, sagt die Pfarrsekretärin. Myra Lester schüttelt den Kopf und reicht Patrick dann die Tasse Tee, die sie für ihn gemacht hat. »Weihnachten steht vor der Tür, und wir haben keinen Priester.«
Patrick weiÃ, Informationen erlangt man nicht immer auf dem geraden und offiziellen Weg, sondern auch mal über Umwege. Und aufgrund seiner katholischen Kindheit weià er auch, daà die Pfarrsekretärin eine ungemein wichtige Person ist. Also bedenkt er sie mit seinem treuherzigsten Blick, der ihm früher von seinen Tanten einen zärtlichen Kniff in die Wange eingebracht hätte. »Die Gemeinde muà ja erschüttert sein.«
»Wenn man hört, was so alles über Pater Szyszynski gemunkelt wird, und bedenkt, wie er ums Leben kam â na ja, das ist alles höchst unchristlich, mehr will ich dazu nicht sagen.« Sie schnieft und senkt dann ihre ausladenden Formen in einen Ohrensessel, der im Pfarrbüro steht.
Jetzt wäre Patrick gern jemand anderes â beispielsweise jemand, der gerade frisch nach Biddeford gezogen ist und eine neue Kirche sucht â, aber er war ja schon während der Ermittlungen in dem MiÃbrauchsfall als Detective hier. »Myra«, sagt Patrick, blickt sie dann an und lächelt. »Oh, Verzeihung, ich wollte natürlich sagen, Mrs. Lester.«
Ihre Wangen erglühen, und sie kichert. »Aber nein, Detective, nennen Sie mich ruhig Myra.«
»Schön. Myra, ich habe versucht, die beiden Priester zu erreichen, die kurz vor Pater Szyszynskis Tod hier in St. Anneâs zu Besuch waren.«
»Ach ja, nette Menschen. Wirklich nette Menschen! Dieser Pater OâToole hatte so einen ulkigen Südstaatenakzent ⦠Oder war das Pater Gwynne?«
»Die Staatsanwaltschaft sitzt mir im Nacken. Sie wissen nicht zufällig, wo ich die beiden erreichen kann?«
»Die sind wieder zurück zu ihren eigenen Gemeinden.«
»Haben Sie vielleicht die Adressen?«
Myra zieht die Augenbrauen hoch. »Bestimmt habe ich die irgendwo. In dieser Kirche passiert nichts ohne mein Wissen.« Sie geht zu dem Stapel aus dicken Büchern und Mappen hinter ihrem Schreibtisch. Sie blättert die Seiten eines ledergebundenen Bandes durch, entdeckt einen Eintrag und schlägt mit der Hand darauf. »Da haben wirâs. Pater Brendan OâToole von St. Dennisâs in Harwich, Massachusetts, und Pater Arthur Gwynne, Abfahrt heute nachmittag zum Bistum Portland.« Myra kratzt sich mit dem Radiergummiende eines Bleistiftes am Kopf. »Dann war der andere Priester vermutlich auch aus Harwich, aber wie kommt er dann an seinen Südstaatenakzent?«
»Vielleicht ist er als Kind umgezogen«, spekuliert Patrick. »Was haben die beiden mit dem Bistum Portland zu tun?«
»Na, das ist natürlich die wichtigste Diözese hier in Maine.« Sie sieht Patrick an. »Von dort bekommen wir unsere Priester geschickt.«
Um Mitternacht auf einem Friedhof mit einem ausgegrabenen Sarg â Patrick wüÃte tausend Orte, wo er lieber wäre. Aber er steht neben den beiden schwitzenden Männern, die den Sarg aus der Erde gehievt und ihn neben Pater Szyszynskis Grab gestellt haben, wie ein Altar im Mondlicht. Er hat versprochen, Ninas Augen zu sein, Ninas Beine. Und falls nötig auch Ninas Hände.
Sie tragen alle Schutzanzüge â Patrick und Evan Chao, Fisher Carrington und Quentin Brown, Frankie Martine und der Gerichtsmediziner Vern Potter. Irgendwo in der Finsternis jenseits ihrer Taschenlampen ruft eine Eule.
Vern zuckt vor Schreck zusammen. »O Gott. Ich rechne ständig damit, daà gleich irgendwelche Zombies hinter den Grabsteinen auftauchen. Hätten wir das denn nicht auch tagsüber machen können?«
»Zombies sind mir immer noch lieber als diese Presseleute«, murmelt Evan Chao.
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