Die Macht des Zweifels
»Nun machen Sie schon, Vern.«
»Schon gut, schon gut.« Der Gerichtsmediziner nimmt eine Brechstange und stemmt Pater Szyszynskis Sarg auf. Der Verwesungsgestank, der ihnen entgegenströmt, läÃt Patrick würgen. Fisher Carrington wendet sich ab und drückt sich ein Taschentuch auf Mund und Nase. Quentin macht rasch ein paar Schritte zur Seite und erbricht sich hinter einem Baum.
Der Priester sieht nicht sehr verändert aus. Noch immer fehlt die Hälfte seines Gesichts. Seine Haut, grau und runzelig, ist noch nicht verwest. »Weit aufmachen«, murmelt Vern, und er drückt Szyszynskis Unterkiefer herunter und zieht mit einer Zange einen Backenzahn.
»Ein paar Weisheitszähne und Haare wären auch nicht schlecht«, sagt Frankie.
Evan nickt Patrick zu, winkt ihn beiseite. »Ist das zu fassen?« fragt er.
»Nein.«
»Vielleicht kriegt der Dreckskerl ja nur das, was er verdient hat.«
Einen Moment lang ist Patrick verblüfft, doch dann begreift er: Evan weià ja nicht, was Patrick weià â daà Pater Szyszynski vermutlich unschuldig war. »Vielleicht«, stammelt er.
Wenige Minuten später bekommt Frankie von Vern ein Fläschchen und einen Umschlag überreicht. Quentin eilt mit ihr davon, Fisher dicht hinter ihnen. Der Gerichtsmediziner verschlieÃt den Sarg und sagt zu den Totengräbern: »Er kann jetzt wieder rein.« Dann wendet er sich Patrick zu. »Nichts wie weg hier.«
»Komme gleich nach.« Als Vern davoneilt, tritt Patrick an das Grab. Die beiden kräftigen Männer haben den Sarg wieder hinuntergelassen und fangen an, Erde darüberzuschaufeln. Patrick wartet, bis sie fertig sind, weil er findet, daà jemand das tun sollte.
Als Patrick das Bezirksgericht von Biddeford erreicht, fragt er sich, ob es diesen Pater Arthur Gwynne überhaupt gegeben hat. Er kommt nämlich gerade von der Diözese in Portland, wo man ihm erklärte, in den dortigen Unterlagen sei lediglich erwähnt, daà Pater OâToole sich in Biddeford aufgehalten habe. Falls auch Pater Gwynne die Gemeinde besucht habe, so könne eigentlich nur eine private Verbindung zu dem Geistlichen in Biddeford der Grund dafür gewesen sein. Was natürlich genau der Punkt ist, den Patrick bestätigt haben muÃ.
Die Mitarbeiterin im NachlaÃgericht überreicht ihm eine Kopie von Szyszynskis Testament, das vor einem Monat bei Gericht eingereicht wurde und seitdem als öffentliche Urkunde gilt. Das Dokument ist ausgesprochen klar und verständlich. Pater Szyszynski vermacht fünfzig Prozent seines Besitzes an seine Mutter. Und den Rest an seinen Testamentsvollstrecker: Arthur Gwynne in Belle Chasse, Louisiana.
Zahnschmelz ist das stärkste natürliche Material im menschlichen Körper, weshalb er nur äuÃerst schwer zu spalten ist. Frankie legt den gezogenen Backenzahn gut fünf Minuten in flüssigen Stickstoff, weil er tiefgefroren leichter splittert. Quentin wartet ungeduldig ab, während Frankie den Zahn aus dem Stickstoffbad holt und ihn in einen sterilen Mörser mit StöÃel legt. Sie stampft und stöÃt fester und fester, aber der Zahn geht einfach nicht kaputt.
»Mörser und StöÃel?« fragt Quentin skeptisch.
»Früher haben wir die Knochensäge aus der Gerichtsmedizin genommen, aber da brauchten wir dann jedes Mal ein neues Sägeblatt. AuÃerdem wird die Schnittkante so heiÃ, daà sie die DNA denaturiert.« Sie wirft ihm über den Rand ihrer Sicherheitsbrille hinweg einen Blick zu. »Sie wollen doch nicht, daà ich das hier versaue, oder?« Noch ein StoÃ, aber der Zahn bleibt unversehrt. »Himmelherrgott!« Frankie fischt einen zweiten Zahn aus dem Flüssigstickstoff. »Versuchen wirâs eben mit Gewalt. Kommen Sie.«
Sie legt den Zahn in einen Plastikbeutel, den sie in einen zweiten steckt, verschlieÃt beide und geht vor Quentin her die Treppe hinunter in die Tiefgarage. »Achtung«, sagt sie, kniet sich hin und plaziert die Beutel auf dem Boden. Sie zieht einen Hammer aus der Tasche ihres Laborkittels und schlägt zu. Beim vierten Versuch zersplittert der Zahn im Beutel.
»Und jetzt?«
Von dem bräunlichen Mark gibt es nur eine winzige Menge ⦠aber es ist gut zu erkennen. »Jetzt«, sagt sie, »warten Sie.«
Quentin, der normalerweise nicht in der Nacht auf Friedhöfen herumgeistert, um anschlieÃend
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