Die Macht des Zweifels
aussagen müssen.«
»Das ist doch nur ein Trick von Quentin Brown. Er will bloÃ, daà Nathaniel vor meinen Augen einen Rückfall hat und ich vielleicht wieder durchdrehe, diesmal vor Richter und Geschworenen.« Tränen gefrieren an den Spitzen meiner Wimpern. Ich will, daà die Sache endlich vorbei ist. SchlieÃlich habe ich deshalb einen Menschen ermordet â weil ich dachte, nur so den Felsen am Weiterrollen hindern zu können. Weil mein Sohn nach dem Tod des Angeklagten nicht mehr als Zeuge die schlimmste Sache schildern müÃte, die ihm je widerfahren ist. Ich wollte, daà Nathaniel das unselige Kapitel ein für allemal abschlieÃen könnte â und ich habe genau das Gegenteil erreicht. Nicht einmal ein so groÃes Opfer â das Leben des Priesters, meine eigene Zukunft â hat das bewirken können.
Nathaniel und Caleb halten seit Weihnachten Distanz zu mir, doch alle paar Tage bringt Caleb ihn für ein paar Stunden zu mir.
Ich weiÃ, in welchem Motel sie wohnen, und manchmal, wenn ich mich besonders tapfer fühle, rufe ich an. Aber es geht immer Caleb ans Telefon, und entweder haben wir uns nichts zu sagen, oder es brennt uns so viel auf der Seele, daà wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen.
Nathaniel aber geht es gut. Wenn er mich besuchen kommt, lächelt er. Er singt mir die Lieder vor, die er in der Schule gelernt hat. Und er zuckt nicht mehr zusammen, wenn ihn jemand von hinten an der Schulter berührt.
Alles Fortschritte, die eine Anhörung zur Feststellung seiner Verhandlungsfähigkeit wieder zunichte machen wird.
»Fisher«, sage ich auf einmal, ganz selbstverständlich, »ich gehe ins Gefängnis.«
»Unsinn â«
»Fisher. Bitte.« Ich berühre seinen Arm. »Ich schaffe das schon. Ich glaube sogar, daà ich es verdient habe. Aber ich habe nur aus einem einzigen Grund einen Menschen getötet â damit Nathaniel nicht noch mehr Schaden nimmt. Ich möchte nicht, daà er je wieder daran denken muÃ, was ihm angetan wurde. Wenn Quentin jemanden bestrafen will, dann soll er mich bestrafen. Aber Nathaniel ist tabu.«
Er seufzt. »Nina, ich werde tun, was ich kann â«
»Sie verstehen das nicht«, falle ich ihm ins Wort. »Das ist nicht genug.«
Da Richter Neal aus Portland kommt, hat er am Gericht von Alfred kein Amtszimmer und muà sich für die Dauer meines Prozesses mit dem Büro eines Kollegen begnügen. Richter McIntyre ist allerdings ein passionierter Jäger, weshalb der kleine Raum mit Geweihen von Elchen und Hirschen geschmückt ist, die ihm zum Opfer gefallen sind. Und ich, denke ich. Bin ich das nächste Opfer?
Fisher hat einen Antrag gestellt, weshalb wir uns im Richterzimmer treffen, um vor den Presseleuten sicher zu sein. »Euer Ehren, das Ganze ist so unerhört«, sagt er, »daà ich mich kaum beherrschen kann. Die Staatsanwaltschaft hat Pater Szyszynskis Tod auf Video. Wieso muà der Junge da noch in den Zeugenstand?«
»Mr. Brown?« gibt der Richter die Frage weiter.
»Euer Ehren, der angebliche Auslöser für den Mord war die damalige psychische Verfassung des Jungen sowie die Tatsache, daà die Angeklagte glaubte, Pater Szyszynski hätte ihren Sohn sexuell miÃbraucht. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft erfahren, daà letzteres nicht der Fall war. Die Geschworenen sollten wissen, was Nathaniel seiner Mutter tatsächlich erzählt hat, bevor sie den Priester erschoÃ.«
Der Richter schüttelt den Kopf. »Mr. Carrington, mir sind da die Hände gebunden, ich kann den Antrag auf Zeugenladung des Jungen nicht abweisen, wenn die Anklage seine Aussage für beweiserheblich hält. Ich will nicht ausschlieÃen, daà ich während des Prozesses zu der Entscheidung komme, daà sie doch nicht beweiserheblich ist â doch so, wie die Dinge derzeit stehen, lasse ich den Zeugen zu.«
Fisher gibt nicht auf. »Die Staatsanwaltschaft könnte doch schriftlich darlegen, welche Beweise sie von der Aussage des Jungen erwartet. Wenn wir keine Einwände haben, muà Nathaniel nicht in den Zeugenstand.«
»Mr. Brown, das klingt doch vernünftig«, sagt der Richter.
»Da bin ich anderer Meinung. Die persönliche Aussage des Jungen ist für meine Beweisführung unumgänglich.«
Einen Moment lang herrscht verblüfftes Schweigen. »Denken Sie noch einmal
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