Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Kontrolle verloren, bevor oder nachdem sie zu dem Waffengeschäft gefahren war?« fragt Brown.
    Â»Das war eindeutig der Beginn ihres psychischen Zusammenbruchs –«
    Â»Hat sie die Kontrolle verloren, bevor oder nachdem sie eine Neunmillimeter-Automatikpistole mit sechs Patronen geladen hatte?«
    Â»Wie bereits gesagt, das war –«
    Â»Hat sie die Kontrolle verloren, bevor oder nachdem sie an dem Metalldetektor vorbeigegangen war, weil sie wußte, daß der Sicherheitsbeamte sie nicht aufhalten würde?«
    Â»Mr. Brown –«
    Â»Und, Dr. O’Brien, hat sie die Kontrolle verloren, bevor oder nachdem sie einem Menschen, und zwar nur einem ganz bestimmten Menschen, in einem voll besetzten Gerichtssaal die Waffe an den Kopf gehalten und abgedrückt hatte?«
    O’Briens Mund wird schmal. »Wie ich schon erläutert habe, hatte Mrs. Frost zu dem Zeitpunkt keine Kontrolle mehr über ihr Verhalten. Sie konnte sich selbst genausowenig davon abhalten, den Priester zu erschießen, wie sie sich davon hätte abhalten können zu atmen.«
    Â»Allerdings ist es ihr gelungen, jemand anderes vom Atmen abzuhalten.« Brown geht zu den Geschworenen hinüber. »Sie sind Experte für posttraumatische Belastungsstörungen, nicht wahr?«
    Â»Ich gelte auf dem Gebiet als kompetent, ja.«
    Â»Und eine posttraumatische Belastungsstörung wird immer durch ein traumatisches Ereignis ausgelöst?«
    Â»Das ist richtig.«
    Â»Sie sind Mrs. Frost nach dem Tod von Pater Szyszynski zum ersten Mal begegnet?«
    Â»Ja.«
    Â»Und Sie glauben«, sagt Brown, »daß ihre Belastungsstörung durch den an ihrem Sohn begangenen sexuellen Mißbrauch ausgelöst wurde?«
    Â»Ja.«
    Â»Woher wissen Sie, daß nicht die Ermordung des Priesters der Auslöser war?«
    Â»Das wäre möglich«, gibt O’Brien zu. »Aber das andere Trauma war zuerst da.«
    Â»Stimmt es, daß Vietnam-Veteranen ihr ganzes Leben lang an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden können? Daß diese Männer noch dreißig Jahre später Alpträume haben?«
    Â»Ja.«
    Â»Dann können Sie doch hier nicht mit wissenschaftlicher Gewißheit behaupten, daß die Angeklagte diese Krankheit überwunden hat, die der Grund dafür war, daß sie – um es mit ihren Worten auszudrücken – die Kontrolle verlor. Hab ich recht?«
    Hinten im Saal werden Stimmen laut. Ich konzentriere mich auf das Geschehen vor mir.
    Â»Ich bezweifle, daß Mrs. Frost die Ereignisse der letzten Monate je vergessen wird«, sagt O’Brien diplomatisch. »Aber ich bin der Auffassung, daß sie jetzt keine Gefahr mehr darstellt … und auch in Zukunft nicht.«
    Â»Tja, Dr. O’Brien«, sagt Brown, »Sie tragen ja auch keinen Priesterkragen.«
    Â»Bitte«, ruft eine vertraute Stimme, und dann reißt sich Monica von dem Gerichtsdiener los, der sie festgehalten hat, und kommt den Mittelgang heruntergelaufen. Allein. Neben Caleb geht sie in die Knie. »Nathaniel ist verschwunden«, schluchzt sie.

    Der Richter ist mit einer Unterbrechung der Verhandlung einverstanden, und die Gerichtsdiener im Saal werden losgeschickt, um nach Nathaniel zu suchen. Patrick verständigt den Sheriff und seine Kollegen. Fisher geht die Medienvertreter beruhigen, die von dem neuen Problem Wind bekommen haben und nach Informationen gieren.
    Ich kann nirgendwohin, weil ich noch immer das verdammte elektronische Armband trage.
    Ich male mir aus, daß Nathaniel entführt worden ist. Wie er in irgendeinen Güterwaggon klettert und dort erfriert. Wie er sich unbemerkt auf ein Schiff schleicht. Er könnte bis ans Ende der Welt reisen, und ich säße noch immer eingesperrt in diesen vier Wänden.
    Â»Er hat gesagt, er müßte zum Klo«, stammelt Monica unter Tränen. Wir warten in der Eingangshalle, aus der die Reporter verdrängt worden sind. Ich weiß, daß sie Absolution haben möchte, aber ich denke nicht dran, sie ihr zu erteilen. »Ich hab gedacht, ihm ist vielleicht übel, weil er so lange gebraucht hat. Aber als ich dann reingegangen bin, stand das Fenster offen.« Sie greift meinen Ärmel. »Ich glaube nicht, daß ihn jemand mitgenommen hat, Nina. Ich glaube, er will bloß auf sich aufmerksam machen.«
    Â»Monica.« Ich klammere mich an den letzten Rest Selbstbeherrschung.

Weitere Kostenlose Bücher