Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
vielen Lachen. Die eine, die er vor lauter Sorgen in dem Jahr bekommen hat, als er die Baufirma verließ und sich selbständig machte. Die eine, die entstand, weil er so konzentriert beobachtete, wie Nathaniel seine ersten Schritte tat, sein erstes Wort sprach. Mein Hals fühlt sich an wie in einem Schraubstock, und all meine Entschuldigungen liegen mir bitter im Magen. »Ach Caleb«, sage ich schließlich unter Tränen, »das alles, das sollte uns doch nicht passieren.«
    Und dann weint er auch, und wir klammern uns aneinander, schmiegen unseren Schmerz an den Körper des anderen. »Er hat es getan. Er hat ihm das angetan.«
    Caleb hält mein Gesicht in seinen Händen. »Wir werden das überstehen. Wir werden dafür sorgen, daß es Nathaniel wieder gutgeht.« Aber seine Sätze klingen wie bettelnde Fragen. »Wir stecken alle drei da drin, Nina«, flüstert er. »Und wir gehören zusammen.«
    Â»Zusammen«, wiederhole ich und presse meinen offenen Mund an seinen Hals. »Caleb, es tut mir so leid.«
    Â»Pssst.«
    Â»Nein, wirklich, es tut mir so –«
    Er bringt mich mit einem Kuß zum Schweigen. Das verblüfft mich, damit hatte ich nicht gerechnet. Doch dann packe ich ihn am Hemdkragen und küsse ihn auch. Ich küsse ihn aus tiefster Seele, ich küsse ihn, bis er den kupfrigen Geschmack der Trauer schmecken kann. Zusammen .
    Wir ziehen uns gegenseitig aus, wild, Stoff zerreißt. Es ist der Zorn, der sich Bahn bricht: Zorn, daß unserem Sohn das angetan wurde, daß wir die Zeit nicht zurückdrehen können. Zum ersten Mal seit Tagen findet meine Wut ein Ventil. Ich ergieße meine Wut in Caleb und merke plötzlich, daß er dasselbe mit mir macht. Wir kratzen uns, wir beißen uns. Aber dann legt Caleb mich unendlich sanft hin. Unsere Blicke ruhen ineinander, als er sich in mir bewegt. Keiner von uns wagt, auch nur zu blinzeln. Mein Körper erinnert sich: So fühlt es sich an, von Liebe erfüllt zu sein, und nicht von Verzweiflung.

    Der letzte Fall, bei dem ich mit Monica LaFlamme zusammengearbeitet habe, war kein Erfolg gewesen. Sie hatte mir einen Bericht geschickt, in dem stand, daß eine gewisse Mrs. Grady sie angerufen hatte. Nach Aussage von Mrs. Grady hatte ihr siebenjähriger Sohn Eli, als sie ihn nach dem Baden abtrocknen wollte, das Mickey-Mouse-Handtuch gepackt, angefangen, sexuelle Beckenstöße zu simulieren, und seinen Stiefvater als Täter genannt. Das Kind wurde im Maine Medical Center untersucht, doch ohne Befund. Ach ja, und Eli litt an etwas, was als oppositionelle Verhaltensstörung bezeichnet wurde.
    Wir trafen uns in meinem Büro und gingen dann in den Raum, in dem wir einen Eindruck von den Kindern gewinnen, ehe wir ihnen überhaupt eine Anhörung zur Feststellung der Verhandlungsfähigkeit zumuten. Auf der anderen Seite eines Einwegspiegels waren ein kleiner Tisch, Kinderstühle, ein paar Spielsachen, und an die Wand war ein Regenbogen gemalt. Monica und ich beobachteten Eli, der laut schreiend umherrannte und an den Vorhängen riß. »Meine Güte«, sagte ich. »Das kann ja heiter werden.«
    Im Nebenzimmer versuchte Mrs. Grady, ihren Sohn zu beruhigen. »Eli, hör jetzt auf damit«, sagte sie. Aber er schrie nur noch lauter.
    Ich drehte mich zu Monica um. »Was versteht man überhaupt unter oppositioneller Verhaltensstörung?«
    Die Sozialarbeiterin zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, aber ich hab so eine Vermutung«, sagte sie und deutete auf Eli. »Genau das da. Er tut das Gegenteil von dem, was man von ihm will.«
    Ich sah sie verwundert an. »Ist das eine psychiatrische Diagnose? Ich meine, ist das nicht einfach die Definition des Verhaltens von Siebenjährigen?«
    Â»Das kapier, wer will.«
    Â»Was ist mit forensischen Beweisen?« Ich öffnete eine Einkaufstüte und holte ein ordentlich gefaltetes Handtuch heraus. Mickeys Gesicht glotzte zu mir hoch. Die großen Ohren, das schiefe Grinsen – das war auch so schon schauerlich, dachte ich.
    Â»Die Mutter hat es nach dem Bad an jenem Abend gewaschen.«
    Â»Natürlich.«
    Monica seufzte, als ich ihr das Handtuch reichte. »Mrs. Grady will unbedingt vor Gericht gehen.«
    Â»Die Entscheidung liegt nicht bei ihr.« Aber ich lächelte, als Elis Mutter zu uns kam und sich zwischen mich und den Detective stellte, der in dem Fall die

Weitere Kostenlose Bücher