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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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von meinen Lippen ablesen kann: »Bitte, bitte, nimm den Hörer ab.« Ich gestikuliere aufgeregt. Aber sein Gesicht ist wie versteinert und hart. Er hat die Arme fest vor der Brust verschränkt. Den Gefallen wird er mir nicht tun.
    Hilflos sinke ich auf den Stuhl und lege die Stirn gegen das Plexiglas. Caleb bückt sich, um etwas aufzuheben, und mir wird klar, daß Nathaniel auch da ist, unter der Tischplatte, wo ich ihn bisher nicht sehen konnte. Mein Sohn kniet sich auf den Hocker, die Augen groß und ängstlich. Zögernd berührt er das Glas, als müßte er sich vergewissern, daß ich keine optische Täuschung bin.
    Ich winke ihm zu. Und lächle. In meinem winzigen Raum spreche ich laut seinen Namen.
    Wie schon bei Caleb nehme ich den Telefonhörer. »Du auch«, forme ich deutlich mit den Lippen, und ich halte mir den Hörer ans Ohr, damit Nathaniel sieht, was ich meine. Doch er schüttelt den Kopf und hebt statt dessen die Hand ans Kinn. Mommy , signalisiert er.
    Der Hörer fällt mir aus der Hand und knallt gegen die Wand, wie eine sich windende Schlange. Ich muß Caleb gar nicht erst ansehen, damit er es bestätigt. Ich weiß es auch so.
    Tränen strömen mir übers Gesicht, als ich die rechte Hand hochhalte und das Zeichen für Ich liebe dich mache. Mir stockt der Atem, als Nathaniel eine kleine Faust hebt, mit den Fingern meine Bewegungen nachahmt. Und dann das V-förmige Peace -Zeichen, der gestreckte Zeige- und Mittelfinger: Ich liebe dich auch .
    Mittlerweile weint Nathaniel. Caleb sagt etwas zu ihm, das ich nicht hören kann, und er schüttelt den Kopf. Hinter ihm öffnet ein Wachmann die Tür.
    O Gott, gleich ist er wieder fort.
    Ich klopfe an die Scheibe, schiebe das Gesicht ganz nah heran, zeige dann auf Nathaniel und nicke. Er tut, worum ich ihn bitte und legt die Wange an die durchsichtige Wand.
    Ich beuge mich vor und küsse die Trennscheibe zwischen uns, tue so, als wäre sie nicht da. Selbst nachdem Caleb ihn aus dem Besucherzimmer getragen hat, bleibe ich so sitzen, die Schläfe an die Scheibe gepreßt, und rede mir ein, daß ich noch immer Nathaniel auf der anderen Seite spüren kann.

    Es passierte nicht nur einmal. Zwei Sonntage später, als Nathaniels Eltern in der Messe waren, kam der Priester in den kleinen Raum, wo Miss Fiore allen eine Geschichte vorlas, in der es um einen Jungen mit einer Steinschleuder ging, der einen Riesen zur Strecke gebracht hat. »Ich brauche einen Freiwilligen«, sagte er, und obwohl alle Hände in die Höhe schossen, sah er direkt Nathaniel an.
    Â»Esme hat dich vermißt«, sagte er im Büro.
    Â»Wirklich?«
    Â»Aber ja. Sie sagt schon seit Tagen deinen Namen.«
    Nathaniel lachte. »Kann ja gar nicht sein.«
    Â»Na, hör doch mal.« Er legte eine Hand ans Ohr und beugte sich zu der Katze auf der Couch vor. »Da, schon wieder.«
    Nathaniel lauschte, hörte aber nur ein schwaches Miauen.
    Â»Du mußt näher ran«, sagte der Priester. »Komm auf meinen Schoß.«
    Einen Moment lang zögerte Nathaniel, weil ihm etwas einfiel. Seine Mutter hatte ihm eingeschärft, nie allein mit Fremden mitzugehen. Aber der Priester war doch eigentlich kein Fremder, oder? Er kletterte ihm auf den Schoß und drückte ein Ohr auf den Bauch der Katze. »Braver Junge.«
    Der Mann bewegte die Beine, so wie Nathaniels Vater das manchmal tat, wenn er auf seinen Knien saß und ihm der Fuß einschlief. »Ich kann auch wieder runter«, schlug Nathaniel vor.
    Â»Nein, nein.« Die Hand des Priesters glitt über Nathaniels Rücken und Po nach unten und blieb dann in seinem eigenen Schoß liegen. »So ist’s gut.«
    Aber dann spürte Nathaniel, wie ihm das Hemd aus der Hose gezogen wurde. Er spürte die langen Finger des Priesters warm und feucht über sein Rückgrat wandern. Nathaniel wußte nicht, wie er nein sagen sollte. In seinem Kopf kreiste eine Erinnerung: eine Fliege, die sich einmal in ihr Auto verirrt hatte und sich während der Fahrt immer wieder verzweifelt gegen die Scheiben warf, um aus dem Käfig rauszukommen. »Vater?« flüsterte Nathaniel.
    Â»Ich segne dich nur«, erwiderte er. »Einer, der so gern hilft wie du, hat das verdient. Und ich möchte, daß Gott das jedesmal weiß, wenn er dich ansieht.« Seine Finger verharrten. »Das möchtest du doch, oder?«
    Ein Segen war gut,

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