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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ich schwitze. Fisher sieht völlig kühl aus, selbst in seinem Anzug mit Krawatte. »Ich kann allerfrühestens Montag morgen einen Richter erreichen und eine neue Anhörung beantragen«, sagt er.
    Â»Ich muß meinen Sohn sehen.«
    Fishers Gesicht bleibt ungerührt. Er ist genauso wütend, wie ich es an seiner Stelle wäre – ich habe meinem Fall einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zugefügt. »Die Besuchszeit ist heute von zehn bis zwölf.«
    Â»Rufen Sie Caleb an. Bitte, Fisher. Bitte, tun Sie alles, was Sie tun müssen, damit er Nathaniel herbringt.« Ich sinke auf den Stuhl ihm gegenüber. »Er ist fünf Jahre alt, und er hat gesehen, wie ich von der Polizei abgeführt wurde. Jetzt muß er wenigstens sehen, daß es mir gutgeht, selbst hier drin.«
    Fisher verspricht mir nichts. »Ich muß Ihnen ja nicht erst sagen, daß Ihre Entlassung gegen Kaution aufgehoben wird. Überlegen Sie sich, was ich dem Richter sagen soll, Nina, weil Sie nämlich so gut wie keine Chance mehr haben.«
    Ich warte ab, bis er mir in die Augen sieht. »Rufen Sie für mich zu Hause an?«
    Â»Akzeptieren Sie, daß ich entscheide, wie ich Sie verteidige?«
    Eine ganze Weile blinzelt keiner von uns beiden, aber ich gebe zuerst auf. Ich starre auf meinen Schoß, bis ich höre, daß Fisher die Tür hinter sich schließt.

    Adrienne weiß, daß ich nervös bin, als die Besuchszeit sich dem Ende zuneigt – schon fast Mittag, und ich bin noch nicht gerufen worden. Sie liegt auf dem Bauch und lackiert sich die Fingernägel leuchtend orange. Als der Officer auf seinem viertelstündlichen Rundgang vorbeikommt, stehe ich auf. »Ist wirklich niemand gekommen, um mich zu besuchen?«
    Er schüttelt den Kopf, geht weiter. Adrienne pustet sich auf die Nägel. »Ist noch was übrig«, sagt sie und hält die Flasche hoch. »Soll ich sie zu dir rüberrollen?«
    Â»Ich habe keine Nägel mehr. Alle abgekaut.«
    Â»Also nein, das ist pervers. Manche von uns sind einfach zu uneinsichtig, um das Beste aus dem zu machen, was Gott ihnen gegeben hat.«
    Ich lache. »Und das aus deinem Munde.«
    Â»Liebes, als es bei mir darum ging, die passenden Utensilien zu verteilen, hatte Gott gerade einen senilen Moment.« Sie setzt sich auf die untere Pritsche und zieht ihre Tennisschuhe aus. Gestern abend hat sie sich die Zehennägel lackiert, lauter winzige amerikanische Flaggen. »Ach, verdammt«, sagt Adrienne. »Ich hab sie verschmiert.«
    Der Uhrzeiger hat sich nicht bewegt. Nicht mal eine Sekunde weiter, das könnte ich schwören.
    Â»Erzähl mir was von deinem Sohn«, sagt Adrienne, als sie sieht, daß ich wieder den Gang hinunterstarre. »Ich hätte auch gern einen.«
    Â»Bei dir hätte ich auf ein Mädchen getippt.«
    Â»Liebes, wir Frauen sind kompliziert. Bei einem Jungen ist die Sache einfacher.«
    Ich überlege, wie Nathaniel sich am besten beschreiben läßt. »Manchmal, wenn ich seine Hand halte«, antworte ich schließlich langsam, »habe ist das Gefühl, daß sie nicht mehr paßt. Ich meine, er ist doch erst fünf. Aber manchmal ist seine Handfläche ein kleines bißchen zu breit, oder seine Finger sind zu kräftig.« Ich schiele zu Adrienne hinüber und zucke die Achseln. »Und dann denke ich, vielleicht ist es das letzte Mal, daß ich seine Hand halte. Vielleicht hält er beim nächsten Mal schon meine.«
    Sie lächelt mich an. »Liebes, er kommt heute nicht.«
    Es ist 12 Uhr 46, und ich muß mich abwenden, weil Adrienne recht hat.

    Am späten Nachmittag werde ich von dem Wachmann geweckt. »Kommen Sie«, sagt er leise und schiebt meine Zellentür auf. Ich fahre hoch, reibe mir den Schlaf aus den Augen. Er führt mich einen Gang entlang in einen Teil des Gefängnisses, in dem ich noch nicht war. Zu meiner Linken sehe ich eine Reihe von winzigen Räumen. Der Wachmann öffnet einen und winkt mich hinein.
    Das Zimmer ist kaum größer als ein Besenschrank. Ein Hocker steht vor einem Plexiglasfenster. Direkt daneben ist ein Telefonhörer an der Wand befestigt. Und auf der anderen Seite der Scheibe, in einer Art Zwillingsraum, sitzt Caleb.
    Â»Oh!« schreie ich auf. Ich stürze zum Hörer, reiße ihn von der Gabel und drücke ihn mir ans Ohr. »Caleb«, sage ich, weil er mein Gesicht sehen, die Worte

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