Die Macht
waren. Es war der denkbar ungünstigste Moment für ein solches Geständnis. Rapp hätte sich gern eingeredet, dass das Morphium sie dazu gebracht hatte, es auszuplaudern, doch er kannte Donatella gut genug, um zu wissen, dass ihr eine derart schonungslose Offenheit auch im nüchternen Zustand absolut zuzutrauen war. Er ärgerte sich zwar über ihr mangelndes Taktgefühl, doch das änderte nichts daran, dass er ihr jetzt helfen musste. Sie befand sich wirklich in einer sehr kritischen Lage – außerdem war sie über all die Jahre eine überaus verlässliche Gefährtin gewesen.
Während die Maschine zur Landung ansetzte, wurde ihm klar, dass er Anna auch ein wenig böse war, weil sie überhaupt kein Verständnis für die schwierige Situation gezeigt hatte. Ja, sie hatte ihn nicht einmal einen Versuch machen lassen, ihr das Ganze zu erklären. Es hatte Tote gegeben, Donatella war angeschossen worden, und er hatte eine Information erhalten, die für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten von ungeahnter Bedeutung sein konnte. Es war eine sehr ernste Sache, dass der Chef des Mossad in die Ermordung eines ehemaligen CIA-Mitarbeiters verstrickt war. Es taten sich nun eine Menge Fragen auf. War Peter Cameron ein Spion des Mossad, ein Doppelagent? Hatte Ben Freidman von sich aus den Auftrag gegeben, Cameron auszuschalten, oder kam der Auftrag in Wirklichkeit von jemand anderem? Eines war jedenfalls sicher – die Sache würde noch ziemlich unangenehm werden. Rapp war nach Italien geflogen, um Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Er wollte einen Namen von Donatella erfahren – doch jetzt sah er, dass es naiv gewesen war, zu glauben, dass die Sache mit einem einzigen Namen erledigt wäre.
Es zeigte sich nun, dass die ganze Sache sich zu einer politischen Krise ersten Ranges entwickeln konnte. Es war klar, dass Donatella Schutz brauchte, und sie musste ihre Geschichte unbedingt Irene Kennedy erzählen. Er hatte keine andere Wahl, als sie so schnell wie möglich nach Amerika zu bringen. Nach dem, was sich in ihrer Wohnung ereignet hatte, war klar, dass Freidman sie aus dem Weg räumen wollte – und Rapp wusste, dass er sein Ziel so lange verfolgen würde, bis er es erreicht hatte.
Mit diesen Gedanken hatte er die vergangenen Stunden zugebracht. Immer wieder war er zwischen Freidmans Machenschaften und seiner zerbrochenen Beziehung mit Anna hin- und hergependelt. Seine Vergangenheit zog ihn in die eine Richtung, während seine Zukunft, die ihm so greifbar nahe erschienen war, sich in nichts auflöste.
Was die Sache mit Anna betraf, hatte er wenig Hoffnung. Er konnte ihr einfach nicht sagen, was sich genau ereignet hatte – ja, er hätte ihr nicht einmal im Detail über seine Vergangenheit mit Donatella Auskunft geben können. Ja, sie waren einmal ein Liebespaar gewesen, doch das war vorbei. Er kümmerte sich ja auch nicht darum, mit wem Anna früher einmal geschlafen hatte. Er vertraute ihr, und es tat ihm weh, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Es tat weh, dass sie einfach nicht verstand, dass manches an seinem bisherigen Leben eben ein bisschen kompliziert war. Es war schließlich nicht so, dass er die letzten zehn Jahre irgendwo als Buchhalter gearbeitet hatte und nun seiner Firma auf Wiedersehen sagte. In dem Geschäft, in dem er tätig war, konnte man nicht so einfach kündigen und seinen Hut nehmen. Die Welt, in der er sich bewegt hatte, war nicht wohl geordnet, sondern voller Tücken und Gefahren. Es war ein schmutziges, undankbares Geschäft, und Rapp wusste, dass es abgedroschen klang – aber irgendjemand musste es eben machen. Er tat ohnehin, was er konnte, um so schnell wie möglich auszusteigen und eine gemeinsame Zukunft mit Anna aufzubauen.
Rapp war zornig auf sie, weil sie seine Bemühungen nicht zu schätzen wusste. Er hatte für sein Land Menschen getötet, er hatte alle möglichen Entbehrungen auf sich genommen – und sie verabschiedete sich schon beim ersten kleinen Problem, das ihnen in die Quere kam. Er hatte einmal sogar jemanden getötet, um sie zu retten, doch das würde er ihr nicht vorhalten – so tief würde er nicht sinken. Entweder liebte sie ihn oder eben nicht. Und im Moment sah es ganz so aus, als würde sie es nicht tun. Rapp wusste nicht viel von Liebe, aber er wusste einiges über Verantwortungsgefühl und Treue – und in seinen Augen war es etwas sehr Verwerfliches, seinen Partner einfach so im Stich zu lassen. Menschen, die einander wirklich liebten, blieben
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