Die Macht
Trümmern lag und den Übergang von einer geschlossenen kommunistischen zu einer offenen Gesellschaft zu bewerkstelligen versuchte, herrschte in China ein regelrechter Boom. Vor allem konnte das Land etwas bieten, was in Russland fehlte, nämlich Stabilität.
Hayes respektierte den Einsatz, mit dem die Gewerkschaftsvertreter und Lobbyisten für ihre Klientel eintraten, doch für ihre Standpunkte selbst hatte er wenig Verständnis. Schließlich war ein intensiver freier Handel mit China gut für die amerikanische Wirtschaft und damit auch für das amerikanische Volk. Diejenigen, die den Standpunkt der Menschenrechte vertraten, waren da schon eher im Recht, wenngleich eine Ächtung Chinas die Menschenrechtssituation im Land sicher nicht zum Besseren verändert hätte. Nein, der Schlüssel zu allem war ein freier Handel. Wenn sie erst ihre Wirtschaft öffneten, dann würde nach und nach auch ihr ganzes Denken offener werden.
Hayes empfand diese Sitzungen als reine Zeitverschwendung, doch in Washington musste man mit einem Auge immer schon auf die nächste Wahl schielen. Diese Leute repräsentierten nun einmal einen großen Teil seiner Wählerschaft. Er musste ihnen zumindest verständnisvoll zuhören, damit sie sich nicht nach einem anderen demokratischen Präsidentschaftskandidaten umsahen. Und so saß der Präsident auf seinem Stuhl und nickte, als die Aktivistin von Amnesty International ihm einige Zahlen über unrechtmäßig inhaftierte Menschen im größten Land der Erde vortrug.
Als die Tür aufging, sah Hayes mit Erleichterung Michael Haik eintreten. Der drahtige Sicherheitsberater des Präsidenten trat zu ihm an den Tisch und entschuldigte sich für die Störung. Dann beugte er sich zu Hayes hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Hayes nickte mehrmals und wandte sich dann an die Anwesenden.
»Es tut mir Leid, aber es gibt da eine wichtige Sache, um die ich mich kümmern muss«, sagte er und erhob sich von seinem Platz. »Danke, dass Sie gekommen sind.« Er ging um den Tisch herum und schüttelte jedem der Anwesenden die Hand. »Sie haben einige wichtige Argumente vorgebracht, die wir auf jeden Fall berücksichtigen werden.«
Als der Präsident sich zum Gehen wandte, trat der Gewerkschaftsfunktionär vor und sagte: »Wir sind es leid, immer nur vertröstet zu werden, Sir. Wir werden das nicht länger hinnehmen.«
Hayes blieb stehen und sah den Mann an. »Was soll das heißen, Harry?«
»Das heißt, dass wir uns vor der nächsten Wahl genau ansehen werden, wer uns unterstützt hat und wer nicht.«
Hayes trat einen Schritt auf den Mann zu. »Was wollen Sie unternehmen, Harry? Den Leuten sagen, dass sie einen Republikaner wählen sollen?«
»Bei allem Respekt, Sir«, antwortete der Mann, »es könnte sein, dass Sie nicht der Einzige sind, der von der Partei nominiert werden möchte.«
Anstatt wütend zu werden, lächelte Hayes den Mann an und klopfte ihm auf die Schulter. »Viel Glück bei der Suche nach einem Kandidaten, der gern politischen Selbstmord begehen möchte.« Mit diesen Worten ging Hayes hinaus und nahm sich vor, genau darauf zu achten, wie seine Parteifreunde in der Frage der Meistbegünstigung für China abstimmten. Wenn es welche gab, die dagegen stimmten, dann wusste er, dass er mit einem Herausforderer rechnen musste.
Während sie die Treppe in den Keller des Westflügels hinunterstiegen, fragte der Präsident seinen Sicherheitsberater, was der Grund für den unangemeldeten Besuch war. Haik teilte ihm mit, dass General Flood am Telefon nicht darüber hatte sprechen wollen. Die beiden Männer gingen weiter zum Situation Room, wo Irene Kennedy, General Flood und zwei weitere Armeeoffiziere auf sie warteten. Der Präsident erkannte einen der beiden; es war General Campbell, der Leiter des Joint Special Operations Command.
»Mr. President, das ist Colonel Gray, der Kommandeur der Delta Force. Ich glaube, Sie haben ihn schon vor einigen Monaten kennen gelernt.«
»Ja, natürlich«, antwortete der Präsident, der sich nun an den Mann erinnerte. Er beugte sich über den Tisch und schüttelte dem Colonel die Hand. »Freut mich, Sie zu sehen, Colonel.«
»Es tut mir Leid, dass ich Sie aus Ihrer Sitzung geholt habe«, fuhr General Flood fort.
»Nicht doch«, antwortete Hayes und verdrehte die Augen. »Ohne Sie hätte ich mich noch eine halbe Stunde langweilen müssen.« Der Präsident nahm auf seinem Stuhl am Kopfende des Tisches Platz, woraufhin sich auch die anderen setzten.
General
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