Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
standen noch das Erstaunen und Ärger darüber, dass es Sanchia gelungen war, ihm das Versprechen abzunehmen, sie auf jeden Fall noch vor dem Osterfest im Kloster zu besuchen. Natürlich, so hatte Eleonora freundlich hinzufügt, könnten sie stattdessen auch wieder nach Murano kommen. »Die Äbtissin hat uns heute den Ausflug erlaubt, und bestimmt hat sie nichts dagegen, wenn wir das jederzeit wiederholen.«
Diese Worte bewirkten zweifellos, dass Pasquale jeden heimlichen Vorbehalt, was seinen versprochenen Besuch anging, auf der Stelle fallen ließ.
Sanchia blickte ihm nach. Er wich einem Händler aus, der ein Fass über das Pflaster der Fondamenta rollte, dann zog er seinen Umhang zurecht und humpelte staksig weiter. Holz schlug auf Stein, ein hohles, von den Fassaden widerhallendes Geräusch, immer im abgehackten Rhythmus seiner Schritte, bis er zwischen den fahlen Häuserwänden verschwunden war.
Girolamo stieß das Boot von der Kaimauer ab und ruderte weiter. Sanchia fühlte ihre Kleidung feucht und schwer auf der Haut kleben. Es hatte die ganze Fahrt über genieselt, und zweimal hatte der Regen sich zu einem Wolkenbruch gesteigert. Sie und Eleonora hatten sich eine mitgebrachte Wachsplane über die Köpfe gezogen, aber das hatte gegen das vom Boden zurückspritzende Regenwasser nicht viel genützt. Sanchia war bis auf die Knochen durchgefroren und merkte, wie sich eine Erkältung bei ihr anbahnte. Ihr Hals hatte schon während der Hinfahrt wehgetan, und nun hatte auch ihre Nase zu triefen begonnen. Eleonora schien es nicht viel besser zu ergehen. Sie hatte fröstelnd beide Arme um sich geschlungen und starrte gedankenverloren über das dunkle Wasser des Kanals. Ganz Venedig schien in Trostlosigkeit versunken zu sein. Auf dem Balkon eines prächtigen Palazzo stand eine weinende Frau. Als das Boot vorbeikam, zog sie den Schleier vor ihr Gesicht und verschwand im Inneren des Hauses. Aus einer der angrenzenden Gassen drang das klagende Geschrei eines kleinen Kindes, und von fern war das Kreischen einer Katze zu hören.
Die Wellen teilten sich vor dem Bug des Sàndolo zu öligen Schlieren, und der Gestank nahm zu. Zwei leere Fässer kamen ihnen entgegengetrieben, verschmiert von Fleischresten und geronnenem Blut. Anscheinend war hier das Boot eines Abdeckers um seine Ladung erleichtert worden. Girolamo stieß die stinkenden Fässer achtlos mit dem Ruder beiseite. Dann duckte er sich, und sie glitten unter einer Brücke hindurch und hielten Kurs auf die nächste Kanalmündung, von der aus es auf direktem Wege zum Klostergelände von San Lorenzo weiterging.
Als sie an der Ufermauer beim Wassertor anlegten, brach Eleonora ihr Schweigen. »Dein Spiegelmacher ist ein interessanter Mann.«
»Er ist nicht mein Spiegelmacher, und ich glaube, er ist eher verrückt als interessant. Bei der Glasmacherei werden so viele giftige Substanzen verwendet wie bei keinem anderen Handwerk.«
»Nun, vielleicht ist er verrückt«, räumte Eleonora ein, die feuchten Röcke lüpfend und auf festen Boden steigend. »Aber vielleicht macht ihn ja gerade das so ungewöhnlich. Erinnerst du dich, dass es damals in dem Pestjahr hieß, ein einbeiniger, einäugiger Pirat habe das große Donnerwetter erzeugt, das die Plünderer aus San Lorenzo vertrieben hat? Wenn ich ihn so ansehe und reden höre, könnte ich mir vorstellen, dass er es war.«
Sanchia hätte ihr darüber Gewissheit verschaffen können, doch sie war in Gedanken immer noch bei ihrem gestrigen Besuch in der Ca’ Caloprini. Der alte Mann – ob er Lorenzos Großvater war? Vom Alter her hätte es passen können. Und es kam nur eine Frau infrage, die sich mit einer blonden Perücke schmücken würde. Auf den ersten Blick leuchtete es auch ein, dass eine Frau, die geisteskrank war, nicht davor zurückschreckte, andere Menschen für ihre eigene Schönheit töten zu lassen. Dennoch schien irgendetwas nicht ins Bild zu passen, ohne dass Sanchia jedoch hätte sagen können, was es war.
Girolamo wandte sich ihr zu und feixte, dann hob er die Hände und vollführte einige rasche Gesten. Sanchia schaute aufmerksam hin. »Das Gefühl hatte ich auch, ehrlich gesagt.«
»Wovon sprichst du?«, wollte Eleonora wissen.
»Girolamo meinte, dass Pasquale nicht alles gesagt hat, was er weiß.«
»Wieso meinte Girolamo das? Ich habe nichts verstanden. Habe ich schlechte Ohren, oder was ist los?«
Sanchia musste nichts erklären. Eleonora begriff es im nächsten Moment auch von allein, und ihre
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