Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Geld, um einen Medicus zu bezahlen.« Pasquales Erwiderung kam mechanisch. Er dachte fieberhaft darüber nach, was er ihr sagen konnte und was nicht. Würde sein Meister noch leben und hier mit ihnen im Boot sitzen – der wüsste, was er täte. Seinen Gesellen packen und über Bord werfen, falls der auch nur ein falsches Wort von sich gäbe.
Sanchia ging nicht auf Pasquales Antwort ein, sondern kam gleich zum Kern des Geschehens. »Als Lorenzo schlief, hörte ich Schreie aus dem Dachgeschoss des Hauses. Ich ging hinauf und fand einen gelähmten alten Mann. Auf seinem Kissen lag ein langes blondes Haar. Es konnte nicht von mir sein.« Sie hielt inne und korrigierte sich. »Das heißt, ich denke sehr wohl, dass es von mir stammt. Aber es ist mir nicht dort, sondern auf Murano abhanden gekommen, unter Begleitumständen, die ich niemals vergessen werde.« Bei den letzten Worten zitterte ihre Stimme, und Eleonora legte hastig ihren Arm um Sanchias Schultern.
»War die übrige Familie auch im Haus?«, fragte Pasquale.
Sanchia musste die schmerzliche Anspannung in seinem Tonfall wahrnehmen, doch sie war offensichtlich selbst so außer sich, dass sie es nicht beachtete. »Es war niemand da außer dem Sklaven. Als er merkte, wo ich mich aufhielt, verfrachtete er mich in ähnlichem Tempo die Treppe runter und aus dem Haus hinaus, wie du es vorhin tatest. Wie du hielt er es nicht für nötig, meine Fragen zu beantworten.« Sie schaute ihn an. »Es war mein Haar, oder? Der alte Mann hatte Angst vor mir. Als ich das Haar anschaute, schrie er wie ein Wahnsinniger. Ich fand noch mehr davon. Auf dem Fußboden neben dem Bett. Auf dem Gang. Zu viel, als dass sie jemandem einfach so hätten ausfallen können. Ich glaube, aus meinem Haar wurde eine Perücke gemacht.«
Pasquale verfluchte ihre Intelligenz und ihre Kombinationsgabe. »Du hast zu viel Fantasie.« Die Bewegungen, mit denen er sein Bein rieb, wurden heftiger. »Viele Frauen sind blond. Die Haare können ebenso gut von einer anderen stammen.«
Mit dem letzten Satz sprach er die Wahrheit, wenn auch auf eine Art, die so verdreht war, dass das kalte Grauen sie packen würde, hätte sie geahnt, was er damit meinte.
»Pasquale!«, schrie sie ihn an. »Rede! Sprich mit mir! Wie sind diese Menschen an mein Haar gekommen? Was weißt du darüber? Es waren meine Eltern , die damals umgebracht wurden! Du selbst hast gesagt, dass mein Vater der beste Mensch war, den du je gekannt hast! Wie kannst du seinen Tod einfach so hinnehmen?«
Ihre Vorwürfe trafen ihn tief. Niemals nehme ich den Tod meines Meister hin !, wollte er zurückbrüllen. Doch natürlich bezwang er sich. Das Schweigen war ihm zur zweiten Natur geworden, und nach einigen Atemzügen legte sich sein innerer Aufruhr, und er gewann genug von seiner Gelassenheit zurück, um sie ruhig anschauen zu können.
»Viele venezianische Frauen lassen sich blonde Perücken anfertigen.«
»Ja, aus künstlich gebleichtem Haar«, mischte Eleonora sich in verächtlichem Ton ein. »Weil sie nämlich nie genug echtes Blondhaar kriegen! Gebleichtes Haar ist leicht von echtem Blondhaar zu unterscheiden, es ist grob und spröde und kann niemals denselben Glanz entfalten. Blondes Haar ist viel feiner, nur halb so dick wie gebleichtes dunkles. Und so helles Haar wie Sanchia hat nun einmal keine zweite Frau in Venedig.«
Doch. Ihre Mutter hatte solches Haar besessen, und auch ihr hatte man es gewaltsam genommen. Und sie getötet.
Pasquale schluckte die aufsteigende Übelkeit herunter, als die Bilder aus der Vergangenheit auf ihn einstürmten. Hatte er bisher vielleicht noch leise Zweifel an der Schuld der Caloprini-Sippe gehabt, so hatten sich diese nach den Informationen, die Sanchia ihm heute hatte zuteil werden lassen, für immer verflüchtigt. Zumindest Caterina und Francesco Caloprini steckten unter einer Decke. Und der Sklave sowieso. Der Junge – nein, gewiss nicht. Er war an jenem blutigen Giovedì grasso noch ein kleines Kind gewesen. Das Oberhaupt der Familie, Giovanni Caloprini – nun, man würde sehen. Auch das würde er noch herausfinden. Und dann danach handeln.
»Lass mich dein Bein ansehen«, sagte Sanchia.
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Wie du willst.«
Er schaute die Mädchen offen an. »Also gut. Ich sage euch, was ich weiß.«
Sie legten nahe der Chiesa dei Miràcoli an, um Pasquale aussteigen zu lassen. Ihm war anzusehen, wie sehr ihn danach verlangte, endlich seiner Wege zu gehen. Auf seinem Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher