Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Zweiten geschickt und musste ihn portraitieren.«
»Und damit nicht genug«, fuhr Sagredo mit listigem Zwinkern fort. »Er hat sich und dem Sultan einen Lebenswunsch erfüllt, indem er eine Reihe schweinischer Bilder für den Palast anfertigte, die er hier niemals hätte malen dürfen.«
Giovanni Caloprini lehnte sich gegen die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. »Das, mein Junge, nennt man Diplomatie.«
Im Grunde verlangten sie nichts Besonderes von ihm. Er sollte nur das tun, was er sonst auch tat: reisen, mit Leuten reden, sich interessiert zeigen, Dinge aufschnappen, die ihm wichtig vorkamen. Und sich alles merken und später darüber Bericht erstatten. Und, vielleicht, sich mit bestimmten Funktionsträgern näher bekannt machen, die für die Serenissima von Bedeutung waren oder es werden konnten. Es galt, außerhalb der Grenzen der Republik zum Wohle Venedigs Einfluss zu gewinnen.
»Es ist eine sinnvolle Sache«, meinte Sagredo, der ihn nach dem Gespräch ins Freie begleitet hatte.
»Ihr dient damit Eurem Staat auf eine Weise, die ohne Gewalt auskommt. Ohne den Einsatz von Waffen helft Ihr dabei, den nie endenden Kampf mit unseren Feinden für uns zu entscheiden. Indem Ihr ihn nämlich verhindert.«
Sagredo hätte nicht großartig darüber philosophieren müssen, denn Lorenzo war auch ohne dessen Argumente vom Nutzen dieser Tätigkeit überzeugt. Mit dem Säbel rasseln und sich ins Schlachtgetümmel stürzen, das konnte jeder Dummkopf, aber Wege zu finden, auch ohne Streit das Gleichgewicht des Friedens zu bewahren – das zeugte sicherlich von größerem Geschick. Wenn das Diplomatie war, konnte sie nicht schlecht sein.
Dennoch war auch diese Unterart der Politik im Grunde nichts weiter als eine Spielart der Intrige. Intrigen konnten sowohl hehren wie auch niedrigen Zielen dienen, doch musste auch jeweils derjenige, der sich ihrer bediente, die Grenze zwischen richtig und falsch erkennen. War die Intrige aus der Sicht dessen, der sie anwendete, stets gut, oder gab es einen übergeordneten Standpunkt, von dem aus dieses zu beurteilen war und welchen der Handelnde einzunehmen hatte?
Lorenzo verfluchte im Stillen die Kenntnisse in Philosophie, die ihm sein Hauslehrer über Jahre hinweg so unerbittlich eingebläut hatte, denn der letzte Gedanke führte ihn ebenso folgerichtig wie unweigerlich zu der Frage, ob sein Vater, der vorhin im Palast geblieben war, gemeinsam mit Grimani bereits Wege ersann, wie die Angelegenheit von Enrico geregelt werden konnte. Die Vorstellung verursachte einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge.
Gleich darauf waren weitere Mutmaßungen in dieser Richtung überflüssig, denn just im selben Augenblick kam der Gegenstand seiner Überlegungen zwischen den Arkaden des Dogenpalastes hervor auf die Piazetta gestürzt, gefolgt von zwei Wachleuten, die mit ihren Spießen fuchtelten und laute Verwünschungen ausstießen.
Offenbar hatte Enrico nicht darauf warten wollen, dass eine übergeordnete Stelle seine Freilassung verfügte, und hatte sein Schicksal selbst in die Hand genommen.
Er rempelte eine Frau an, die erschrocken aufschrie, als er sie plötzlich packte, herumriss und vor sich schob. »Bleibt weg, oder ich schneide dieser Schlampe den Hals durch!« Seine Stimme klang lallend. Er musste schwer betrunken sein.
Einer der Wachleute stolperte vor Schreck und verlor dabei seinen Helm, der scheppernd über die Bodenziegel rollte. Er machte keine Anstalten, ihn aufzuheben, sondern blieb leise fluchend stehen. Der andere war ebenfalls mitten im Schritt erstarrt, den Speer mit offenem Mund an die Brust gedrückt wie einen nutzlosen Stecken.
Die Frau war jung, fast noch ein Mädchen. Und sie war hochschwanger. Der Hitze wegen trug sie nur ein leichtes Sommerkleid, vielfach geflickt, aber sauber. Ihr Haar war unter einer Haube aufgesteckt, die vom vielen Waschen verschlissen war.
Das alles nahm Lorenzo im Bruchteil eines Augenblicks wahr, während Enrico seinen Dolch in den Hals des Mädchens bohrte, so tief, dass auf der Stelle Blut herausrann. Ein Zentimeter tiefer oder weiter seitlich, und sie würde sterben. Lorenzo sah den Tod bereits in ihren Augen, und auch in denen von Enrico.
Lorenzo dachte nicht weiter nach. Seine Hand zuckte an seinen Gürtel und wieder hoch, und nur einen Lidschlag später steckte sein Wurfmesser in Enricos Unterarm, genau an der Stelle, wo das Gelenk in die Handwurzel überging.
Enrico reagierte mit Zeitverzögerung. Er blinzelte dümmlich,
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