Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
und wartete darauf, dass ihm der andere Mann vorgestellt wurde, der sich ebenfalls im Zimmer aufhielt. Er war ebenfalls von kräftiger Statur, nur dass sein Körperbau nichts Weichliches hatte. Mit seinem runden Kopf, dem fröhlichen Gesicht und dem offenem Lachen sah er aus wie jemand, der Spaß am Leben hatte. Er trug das graue Haar kurz geschnitten, und seine frische Bräune wies darauf hin, dass er sich häufig im Freien aufhielt. Wie Giorgio Grimani war er in den Vierzigern, wirkte aber deutlich vitaler.
»Messèr Sagredo – mein Sohn Lorenzo.«
Lorenzo erwiderte den festen Händedruck Sagredos und schaute sich dann verstohlen in dem Zimmer um. Er hatte ein prunkvolleres Büro erwartet. Allein der Arbeitsraum seines Vaters in der Ca’ Caloprini war mindestens fünf Mal so groß wie dieser Raum hier, den er nicht einmal für sich allein hatte.
Sein Vater sprach seine Gedanken aus. »Du wunderst dich über das mangelnde Gepränge, nicht wahr?«, fragte er amüsiert. »Lass es. Hier wird Politik gemacht, und das funktioniert auf engstem Raum am besten. Die großen Räume werden zum Repräsentieren benutzt. Von denen, die herkommen, um sich zu zeigen. Diejenigen, die denken und lenken, benötigen dafür nicht viel Platz. Im Grunde nur den, der zwischen zwei Ohren passt.« Immer noch lächelnd zeigte er auf seine Stirn.
Grimani kam gleich zur Sache. Es war nicht zu übersehen, dass seine anfängliche Gelassenheit nur aufgesetzt war. Er wurde zunehmend nervöser, was sich darin äußerte, dass er begann, in dem engen Zimmer auf und ab zu gehen. Zwischendurch hob er immer wieder lauschend den Kopf, als könnte er durch genaues Hinhören Informationen erlangen, die bedeutsam für ihn waren.
»Ihr seid häufig auf Reisen, Lorenzo. Auf diesen Reisen hört und sieht man viel. Man lernt fremde Sprachen, fremde Gebräuche. Man schließt Freundschaften, knüpft Kontakte.« Grimani blieb stehen und wandte sich zu Lorenzo um. »Würdet Ihr diesen Aussagen zustimmen?«
»Sicher«, sagte Lorenzo achselzuckend. Er hatte nicht die geringste Ahnung, worauf der Zehnerrat hinauswollte.
»Manchmal kann es von Nutzen sein, solche Kontakte zu ganz bestimmten Menschen herzustellen. Weil es wichtig ist, zu wissen, was diese Menschen tun und denken.«
Lorenzo nickte schweigend. Jetzt kam Grimani der Sache schon näher, und Lorenzo bekam eine ungefähre Vorstellung, in welche Richtung sich das Gespräch entwickeln würde.
»Ist Euch der Name Giovanni Dario ein Begriff?«, fragte Grimani unvermittelt.
»Leider nein.«
»Die meisten Venezianer haben nie von ihm gehört, und doch ist er einer der wichtigsten Männer in der neueren Geschichte der Seerepublik. Einer der glänzendsten Diplomaten, die Venedig je gesehen hat. Giovanni Dario ist weder ein Adliger noch ein besonders hoch gestellter Politiker, sondern nur ein einfacher Sekretär. Aber er hat für die Serenissima einen der wichtigsten Verträge ausgehandelt, die je in Krisenzeiten zustande gebracht worden sind. Er hat nicht mehr und nicht weniger getan, als unseren Seehandel zu retten. Und damit unser aller Geschicke.«
Grimani nahm seinen Marsch durch das Zimmer wieder auf. »Am 26. Januar 1479 wurde dieser Vertrag mit dem Osmanischen Reich geschlossen, und er bedeutete das Ende der bis dahin geführten ständigen Kämpfe, die unsere Besitztümer in der Ägäis und auf dem Balkan immer mehr bedrohten. Der von Dario ausgehandelte Friede ermöglicht seither der Serenissima freie Seefahrt und freien Handel im ganzen Osmanischen Reich.«
Lorenzo hatte beeindruckt zugehört. »Wie hat er das geschafft?«
Grimani lächelte schmallippig. »Was glaubt Ihr denn?«
»Mit Geld?«
»Selbstverständlich. Wir zahlen jährlich zehntausend Dukaten Tribut. Aber das ist ein Witz, gemessen am Ergebnis.«
»Venedig musste außerdem die türkische Oberhoheit über Negroponte und Skutari anerkennen und Zugeständnisse wegen der Morea machen«, warf Sagredo ein.
»Der wichtigste Überredungsfaktor sollte nicht unerwähnt bleiben«, sagte Giovanni Caloprini lächelnd. »Womit wir zugleich wieder bei der Kunst wären, sowie ihrem überragenden Sinn und Nutzen. Dario hat dem Sultan ein Angebot gemacht, das schlicht unwiderstehlich war.«
Jetzt war Lorenzo neugierig geworden. »Hat er ihm ein Bild geschenkt?«
Giovanni lachte. »Nein, einen ganzen Maler. Gentile Bellini – der Bruder des großen Meisters, den du vorhin kennen gelernt hast – wurde damals an den Hof Mohammeds des
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