Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
ungeschehen machen, dass ich es ihr erzählt habe. Der Branntwein muss schlecht gewesen sein!« Aufbegehrend fügte er hinzu: »Du selbst trägst auch Schuld daran. Du hättest ihr den Anhänger nicht geben sollen! Ohne das vermaledeite Ding wäre ich nie auf die Idee gekommen, die Sache anzusprechen.« Er dachte nach. »Wenn ich es überhaupt war, der als Erster davon anfing. Vermutlich war sie es, die davon anfing. Nein, ganz sicher sogar. Wieso hast du ihn ihr gegeben?«
»Sie hat ihn in einer Schatulle gefunden.«
»Auch das ist dein Fehler«, beharrte Vittore. »Ich finde nicht, dass meine Schuld so groß ist. Du und deine Frau – ihr seid zu nachsichtig. Es steht einem siebenjährigen Mädchen nicht an, Schatullen ihrer Eltern zu öffnen. Oder ständig um die Gesellen ihres Vaters herumzustreichen und vorwitzige Fragen zu stellen. Gottesfürchtige Frauenzimmer in ihrem Alter sollten beten oder Gewänder besticken oder in der Küche Gemüse putzen.« Ein wenig kleinlauter setzte er hinzu: »Die ganze Wahrheit kennt sie ja nicht.«
»Und du wirst sie auch weiterhin für dich behalten, sonst …« Piero ließ das Ende des Satzes drohend in der Luft hängen und schlug dabei mit der flachen Hand auf die Messerscheide an seinem Gürtel.
»Ja, ja, ich weiß, du wirst mir die Zunge herausschneiden. Oder das Herz.«
In heller Wut zog Piero seinen Dolch. »Stell mich auf die Probe, du stinkender Zwiebelfresser, und ich stoße dir mein Messer gleich an Ort und Stelle in deine aufgeblähten Gedärme!«
In Vittores Blick offenbarten sich gewisse Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Drohung, doch er schien es vorzuziehen, den Zorn seines Meisters nicht weiter herauszufordern. Seine einzige Reaktion war ein gemurmeltes Selbstgespräch, demzufolge es nichts Besseres gegen vorzeitige Impotenz gebe als täglich genossene Zwiebeln, und dass ein gewisser Jemand durchaus mehr Rücksicht auf das Alter nehmen könne.
Schweigsam folgte er anschließend Pieros Anweisungen, während dieser die Lehrjungen herbeizitierte, um sie bei der Verarbeitung von Kronglas zur Herstellung von Fensterscheiben zu unterweisen. Vor dem ersten Arbeitsgang ließ Piero sie sämtliche Lüftungspaneele an Wänden und Decken öffnen, doch die Hitze war mittlerweile so stark geworden, dass er vorsorglich sein Wams auszog. Er rollte es zusammen und warf es auf das Wandbrett, das neben dem zum Kanal hinausführenden Tor angebracht war. Anschließend nahm er eine Glaspfeife und ging zum Ofen. Er hieß die Lehrlinge, gut aufzupassen, während er mit dem Blasrohr eine ausreichende Menge Schmelzmasse aus dem Tiegel aufnahm und zum Werktisch trug. Die beiden Jungen – sie waren Brüder von dreizehn und zwölf Jahren und hießen Marino und Nicolò – waren seit fast vier Wochen bei ihm in der Lehre. Sie hatten den Vorgang folglich schon häufig beobachtet, aber bekanntlich machte nur Übung den Meister. Sie würden sich das Verfahren noch unzählige Male anschauen müssen, bevor sie selbst eine Glaspfeife in die Hand bekamen.
»Ich habe morgen eine geschäftliche Besprechung in der Stadt«, ließ Piero seinen Ofenmeister wissen, während er die gelblich glühende Schmelzmasse in einer nassen Holzform über einem Eisenblech zu der angestrebten Form ausrollte. »Es geht um einen größeren Auftrag. Ich nehme Pasquale mit.«
»Warum erzählst du mir das?«
Piero warf einen vielsagenden Blick auf die Branntweinflasche, die oben auf dem Wandbrett stand.
Vittore ergriff eine Glaspfeife. »Ich bin kein Säufer! Ich benutze den Schnaps als Medizin für mein schlimmes Bein. Der Barbier hat gesagt, wenn ich reichlich davon benutze, könnten die Schwären weggehen.«
Marino kicherte, was Vittore dazu verleitete, aufgebracht gegen ein Wasserfass zu treten. Seiner umwölkten Miene war anzusehen, dass der Tritt eigentlich für Marino gedacht war.
»Pasquale und ich sind sonst immer hier, da kann nicht viel passieren«, erklärte Piero. »Aber wenn wir einmal für einen Tag weg sind, möchte ich sicher sein können, dass mein Haus nicht abbrennt.«
»Ich werde schon aufpassen.«
»Du wirst morgen keinen Branntwein trinken«, bestimmte Piero. »Und wenn ich keinen sage, meine ich: keinen einzigen Schluck. Du wirst die Öfen beaufsichtigen und dafür sorgen, dass sie nicht ausgehen. Falls du das nicht schaffst, kannst du dir einen anderen Meister suchen.«
Es war ihm ernst damit. Vittore schien es begriffen zu haben, denn er sagte nichts, sondern beeilte sich,
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