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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Starnadel – eigentlich eine winzige, schmale Klinge – gegen das Auge führte, hielt der Blinde die Luft an, als könnte er fühlen, dass es gleich so weit war. Er stöhnte unterdrückt, als das Metall in sein Auge glitt, die Linse aus dem Gewebe löste und unnachgiebig in den Glaskörper hineindrückte. Dann war es auch schon vorbei. Sanchia legte sanft eine vorbereitete Kompresse auf das jetzt geschlossene Auge.
    Simon rutschte auf dem Stuhl zurück. »Das war’s.«
    »Das andere Auge?«, brachte der Kaufmann mühsam hervor.
    »Heute nicht. Ein Auge ist das halbe Risiko. Und es reicht völlig zum Sehen. Im Laufe der nächsten Wochen könnt Ihr zu einem Glasmacher gehen und Euch eine Nietbrille machen lassen. Ich werde Euch eine gute Werkstatt nennen, die sich auf Augengläser spezialisiert hat.«
    Der Kaufmann atmete schwer, eine Hand auf der Kompresse, die andere im Schoß zu einer Faust geballt. »Wann kann ich denn sehen?«
    »Versucht es.«
    Zögernd hob der Kaufmann die Hand und löste die Leinenkompresse. Er gab einen zischenden Laut von sich, nicht vor Schmerz, sondern vor schierem Erstaunen.
    »O Gott.« Er schluckte heftig. »Da ist Licht. Und hier … sind zwei Gestalten.«
    »Zwei junge Frauen«, bestätigte Simon.
    »Da seid Ihr. Ihr sitzt auf einem Stuhl. Dort drüben – das muss die Tür sein.« Seine Brust hob und senkte sich, und plötzlich schluchzte er auf, kurz und trocken. »Lieber Himmel, ich … bitte verzeiht meine Unbeherrschtheit … Es ist so lange her … Ich dachte nicht …«
    Maddalena fing auf der Stelle ebenfalls an zu weinen.
    Der Patient vergaß sofort seine eigene Aufregung. »Was ist mit dir, Kind?«, fragte er besorgt. »War es zu viel für dich? Hat es arg geblutet?«
    »Es gab kein Blut«, sagte Sanchia. »Ich glaube, ich weiß, warum sie weint.«
    »Ich würde es auch gern wissen«, meinte Simon. »Sonst könnte ich beizeiten auf den Gedanken kommen, dass sie hier gründlich fehl am Platze ist.«
    Maddalena heulte nur noch lauter. »Das ist es ja gerade! Ich wäre am liebsten immer hier! Weil ich auch gerne diese Dinge täte! Ich weine, weil ich kein Mann bin!«
    Sanchia erzählte Lorenzo davon, später, als sie beide nach dem Liebesakt eng umschlungen im Bett lagen und einer auf den Herzschlag des anderen lauschte.
    »Ich glaube, sie meint es wirklich so«, sagte sie. »Sie würde ihre Seele dafür geben, ein Mann zu sein.«
    Lorenzo fuhr mit der Hand durch ihr Haar und küsste ihre Schläfe. »Hast du in ihrem Alter auch geweint, weil du kein Mann bist?«
    Sanchia gab keine Antwort. Sie fragte sich, ob er je gemerkt hatte, dass sie nicht weinen konnte, und gleich darauf schalt sie sich selbst als töricht. Woher sollte er es wissen? Wenn sie Abschied nahmen, weil er auf eine Reise gehen musste, zerriss es ihr oft das Herz, und in solchen Momenten war sie davon überzeugt, dass sie hätte weinen können, wenn sie normal veranlagt gewesen wäre. Eleonora weinte ständig, wenn Pasquale wieder gehen musste, und ebenso weinte sie, wenn die Zeit seines nächsten Besuchs näherrückte, sei es, weil sie nicht wusste, was sie anziehen sollte, oder weil sie sich davor fürchtete, dass er hinterher wieder aufbrechen musste und sie ihn für mindestens eine Woche nicht sehen konnte. Außerdem weinte sie auch sonst viel, weil ihre Stimmung insgesamt nicht die beste war. Wenn Pasquale kam, ging es ihr gut, aber an allen anderen Tagen war sie so deprimiert, dass Sanchia am liebsten ständig einen großen Bogen um sie gemacht hätte. Sie hätte Eleonora nur zu gern geholfen, hatte aber keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte.
    Suor Annunziata hatte auf Eleonoras Ansinnen, beim Patriarchen einen Dispens zum Austritt aus dem Kloster zu erwirken, rundheraus gemeint, sie solle sich nicht allzu viel Hoffnung machen. Anders hätte es vielleicht ausgesehen, wenn ihr Großvater als Oberhaupt einer einflussreichen Familie dasselbe Ziel angestrebt hätte, doch davon war er weit entfernt. Auf einen entsprechenden Brief Eleonoras hatte er gar nicht erst geantwortet, und als sie ihn in Begleitung Annunziatas persönlich aufgesucht hatte, war er nicht zu sprechen gewesen. Schlimmer noch: Er hatte eine seiner dürftig bekleideten türkischen Sklavinnen vorgeschickt, die ihnen auf sein Geheiß die Tür gewiesen hatte. Eleonora hatte geschworen, es noch diesen Monat abermals zu versuchen, aber Sanchia wusste jetzt schon, dass dieses Unterfangen aussichtslos war. Es gab aus der Sicht des

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