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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Tugenden und forderte mehr Frömmigkeit, mehr Ordnung und mehr Stille. Im Gegensatz zu seinen früheren Aufenthalten achtete er jedoch peinlich genau darauf, bei seiner Inspektion der Zellen stets in Begleitung einer von der Klosterleitung abgestellten Nonne aufzutreten, und er nahm bei seinen Besichtigungen der Küchenräume keinerlei Nahrung zu sich.
    Der Deutsche, zu keinem Orden gehörig, erlegte sich diese Zwänge nicht auf. Er fraß, was immer er in die Finger bekam, und er sprach auch den Weinvorräten reichlich zu. Die Küche wurde zu seinem bevorzugten Aufenthaltsort. Es kam öfter vor, dass er mehr trank, als er vertragen konnte, und dann rülpsend und triefäugig durch die Gegend schwankte und mit obszönen Andeutungen die Converse belästigte, bis er benommen vor einem der Öfen zu Boden sank und seinen Rausch ausschlief.
    Als Mediziner war er eine Katastrophe, wie Simon bereits gleich zu Anfang grimmig festgestellt hatte. Er scherte sich weder um Sauberkeit noch um Feinheiten und Fingerspitzengefühl bei der Wundbehandlung. Vielmehr schwor er zu allen Anlässen auf Aderlass, Opium und eine stinkende Salbe, die Ähnlichkeit mit der Substanz hatte, die Lorenzo damals fast das Leben gekostet hatte, nur dass die Tiegel des Baders vermutlich kein oder nur sehr wenig Gift enthielten.
    »Er behauptet, in Paris und Brügge die Künste der Medizin studiert zu haben, doch sein ganzes Gebaren ist von der höheren Heilkunde so weit entfernt wie der Mond von der Sonne«, sagte Simon abfällig. »Er kann nicht mal richtig Latein. Gott gebe, dass er bald seine neugierige Nase und seine schmutzigen Finger woanders reinsteckt.«
    Pater Alvise wusste hinter vorgehaltener Hand zu berichten, dass der Bader zum Günstling des Patriarchen aufgestiegen sei, indem er ihn bei einem Fressgelage vor dem Ersticken bewahrt habe. »Seine Exzellenz hatte einen Hühnerknochen quer im Hals stecken, und der Deutsche hat ihn mit einem kräftigen Schlag zwischen die Schulterblätter gerettet. Seither gilt er als medizinische Koryphäe.«
    Auf diese Weise war er auch, vermutlich mit Ambrosios Unterstützung, an die Stellung eines bischöflichen Klosterinspekteurs für das Gesundheitswesen gekommen.
    Was Ambrosio selbst betraf, so hatte Sanchia von Anfang an richtig vermutet, dass er ihr aus dem Weg gehen würde. Als er sie das erste Mal in einem der Kreuzgänge hatte auftauchen sehen, war er sichtlich zusammengezuckt, hatte sie kurz von der Seite angestarrt und dann hastig die Lider über seine hervortretenden Augen gesenkt. Der eine Moment, in dem sie seine Blicke erwidert hatte, war jedoch ausreichend gewesen.
    Er hatte sofort begriffen, dass sie nichts vergessen hatte.
    Seither fühlte sie häufig seine bohrenden Blicke im Rücken, sei es auf dem Weg in die Kirche oder anlässlich der wenigen Gelegenheiten, zu denen er den Deutschen ins Spital begleitete, doch er sprach sie niemals an und machte auch sonst keine Anstalten, ihr näherzukommen. Sie war nicht mehr das verstörte kleine Mädchen, das ihn vor mehr als zehn Jahren beim Mord an einer todgeweihten Nonne beobachtet hatte, sondern eine erwachsene Frau im Schutze der klösterlichen Gemeinschaft. Doch sein Hass umgab ihn wie eine Wand, und Sanchia hatte keinen Zweifel daran, dass er sie am liebsten tot gesehen hätte.
    Sie hatte nie darüber gesprochen, denn nach der Schreckensnacht war der Mönch wie vom Erdboden verschluckt gewesen. In ihrer naiven Vorstellung von damals war er tot gewesen, vom Teufel geholt, mindestens aber von einem der Plünderer getötet und im Kanal versenkt. Was hätte es genützt, Annunziata davon erzählen, die damals starr vor Kummer über den Tod ihrer Schwester war? Albiera wäre sowieso gestorben, auch ohne die Wahnsinnstat des Dominikaners, und wer hätte ihr im Übrigen einen solchen Vorwurf glauben wollen? Folglich hatte sie geschwiegen.
    Sie überlegte eine Zeit lang, Annunziata dafür jetzt reinen Wein einzuschenken, doch sie kam schließlich zu der Überzeugung, dadurch mehr Schaden als Nutzen herbeizuführen. Annunziata würde ihr zweifellos glauben und nicht zögern, den Dominikaner anzuklagen. Der wiederum würde alles abstreiten und dasselbe behaupten, womit er schon damals Sanchias Grauen zu beschwichtigen versucht hatte, nämlich die Sterbende nur gesegnet zu haben. Somit würde Aussage gegen Aussage stehen, was Annunziata aber sicherlich nicht daran hindern würde, Gerechtigkeit zu suchen, vielleicht sogar jenseits des Gesetzes. Wie

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