Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
nach einem eigenen Haus für uns beide. Es wird sowieso Zeit, dass ich heirate. Sie liegen mir seit Jahren damit in den Ohren, und wenn ich ihrem Wunsch nun endlich nachkomme, werden sie schwerlich widersprechen können.«
»Als Ehekandidatin bin ich nicht gerade die erste Wahl«, murmelte Sanchia. Sie hatte ihr Gesicht in seine Halsbeuge geschoben, die Nasenspitze gegen sein kratziges Kinn gedrückt und die Lippen nahe bei seinem Kehlkopf, sodass sie das Vibrieren seiner Stimme in ihrem Mund spüren konnte. Es war ein köstliches Gefühl, und wenn sie überhaupt an einer Ehe irgendetwas Nutzbringendes erkennen konnte, dann war es die Aussicht, ein Recht auf diese Nähe zu haben, wann immer ihr danach war.
Ein Haus, dachte sie. Vielleicht sogar Kinder. Eine Familie – nicht seine, sondern eine eigene. Sie könnten in einem anderen Sestiere leben, sogar auf Murano.
»Wenn sie dich erst kennen gelernt haben, werden sie begeistert sein.«
»Das ist lächerlich.«
»Mir ist absolut gleichgültig, woher du kommst und was du besitzt.« Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. »Davon abgesehen weißt du genauso gut wie ich, dass dein Vater ein überragender Künstler war, einer der besten, die Venedig je hervorgebracht hat.«
Damit hatte er fraglos Recht. Sanchia zweifelte nicht daran, dass eine Ehe zwischen ihnen aus behördlicher und kirchlicher Sicht zulässig wäre, mochte seine Familie die Verbindung auch für wenig standesgemäß halten. Nicht selten heirateten venezianische Patrizier die Töchter von Kaufleuten oder Handwerkern. Letztlich bestimmte Lorenzo selbst darüber, niemand sonst. Es hätte alles ganz einfach sein können.
Wenn nicht jene Nacht gewesen wäre, in der gesichtslose Männer ihre Eltern getötet und ihr das Haar vom Kopf geschoren hatten. Und nicht diesen anderen Tag, an dem sie ihr Haar im Haus seiner Familie wiedergefunden hatte. Doch was hätte sie ihm sagen sollen? Du täuschst dich in deiner Mutter, es kann gut sein, dass sie um ihrer Eitelkeit willen Leute umbringen lässt?
»Du wirst meine Frau«, sagte er.
»Das kann ich nicht.«
»Doch. Noch ehe das Jahr zu Ende ist, wirst du mir ganz gehören.«
Der Dominikaner erschien wieder täglich im Kloster, und nach einigen Wochen kam es Sanchia so vor, als hätten die vergangenen Jahre seiner Abwesenheit nicht existiert. Es gab keinen Unterschied zu früher, nur dass er diesmal ständig in Gesellschaft des deutschen Baders auftauchte, Gottfried Berghaus, dem die Aufgabe zufiel, die Zustände im Spital zu inspizieren. Simon ertrug es mit zusammengebissenen Zähnen und stummer Verachtung und machte im Übrigen aus seiner Abneigung keinen Hehl.
Die Verfügung des Patriarchen war in diesem Punkt fragwürdig, da das Krankenhaus zwar eine aus klösterlichen Mitteln getragene Stiftung war, nicht aber unmittelbar religiösen Zwecken diente. Begründet wurde die Kontrolle damit, dass Nonnen dort arbeiteten, aber nach dem Buchstaben des Gesetzes waren allein die von der Signoria eingesetzten Provveditori für die Aufsicht zuständig.
Annunziata, der nur daran gelegen war, die Inspektion ohne Konfrontation mit der Geistlichkeit hinter sich zu bringen, forderte dennoch kooperatives Verhalten auf ganzer Linie ein, sowohl im Kloster als auch in den dazugehörigen Einrichtungen. Sie wollte keine Unruhe stiften, sondern die Inspektoren so bald wie möglich wieder loswerden. Sämtliche obrigkeitliche Einmischung war ihr ein Gräuel, und sie wollte um keinen Preis eine längere Anwesenheit des Dominikaners provozieren. »Irgendwann ist er es leid«, sagte sie, »und dann ist er wieder verschwunden – ohne uns Schwierigkeiten zu machen. Wir gehen einfach den Weg des geringsten Widerstands. Diesmal können wir ihm nichts anlasten, er hat leider dazugelernt.«
Die Nonnen hatten auf Geheiß Annunziatas wieder den Habit angelegt, ergänzt um das Unterkleid aus hellerem Leinen, weil es allmählich kühler wurde. Sie gingen regelmäßig zur Messe, legten häufiger die Beichte ab und stimmten die Laudate an, wann immer der kirchlich bestimmte Tagesablauf es vorsah. Die Tiere verschwanden aus den Zellen und wurden in die Obhut von Moses gegeben, Leckereien und Lebensmittel blieben in den Küchenräumen und die feinen Gewänder und Kosmetika wurden zuunterst in den Truhen der Nonnen verstaut.
Ambrosio ließ auf seinen täglichen Kontrollgängen keinen Winkel des Klosters aus. Es war wie damals. Er hielt den Nonnen fortlaufend Predigten über weibliche
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