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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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sagst du mir das nicht?«
    »Wozu? Du weißt doch auch sonst alles.«
    Sanchia griff durch die Gitterstäbe und berührte das Bein des Zwergs. »Was ist passiert? Was hat man mit ihr gemacht?«
    »Die Folterknechte haben sie dem Strappado unterzogen. Und sie werden es wieder tun, heute noch. Und morgen abermals, bis sie gesteht. Falls sie so lange lebt.«
    Lorenzo tat instinktiv einen Schritt nach vorn, als er die geduckte Gestalt von links herannahen sah. Seine Hand glitt zu seinem Dolch und hatte ihn bereits halb hervorgezogen, bevor er merkte, dass die vermeintliche Bedrohung nur ein schäbig gekleideter alter Mann war, der kaum kräftig genug aussah, um mehr als zehn Schritte ohne fremde Hilfe gehen zu können.
    »Habt Erbarmen, die Herren!« Er hustete stockend und spuckte einen Batzen Blut aufs Pflaster, und als er keuchend die flache Hand in die Rippen presste, während er nach Luft rang, wirkte er so Mitleid erregend schwach und ausgemergelt, dass Lorenzo den Dolch wieder in die Scheide schob und in seinem Beutel nach einer Münze kramte.
    Zu seinem Erstaunen reckte der Zwerg neben ihm seinen lächerlich kurzen Spieß. »Was hast du da hinter deinem Rücken?«
    »Etwas, von dem du noch kürzer werden wirst, als du sowieso schon bist«, höhnte der vermeintlich sieche alte Mann. Seine andere Hand kam mit einem brennenden Gegenstand hinter seinem Rücken hervor, und er holte zum Wurf aus.
    Lorenzo wäre schneller gewesen. Sein Dolch war schon in seiner Hand und über seiner Schulter, bevor der Alte richtig ausholen konnte. Doch noch bevor sein Wurfarm nach vorn flog, hielt er inne, denn neben dem Feuerteufel war jemand aufgetaucht und entriss ihm das glimmende Gerät, das sich bei näherem Hinsehen als ein Metalltopf entpuppte, aus dem eine brennende Lunte hing. Der große, dürre Mann mit dem Holzbein packte den kokelnden Streifen und riss ihn ab.
    »Du bist verrückt!«, fuhr der Neuankömmling den Alten an. »Was glaubst du, was du hier machst?«
    »Du hast gesagt, spreng die Gitter weg«, verteidigte sich der Alte. »Es schien mir eine gute Idee, die beiden Wächter gleich mit zu erledigen.«
    »Das sind keine Wächter, du kranker Idiot!«
    Lorenzo erkannte in dem Krüppel den Mann, der schon einige Male vor der Ca’ Caloprini aufgetaucht war, um die rückständige Entlohnung für die Fenster einzutreiben, die Sanchias Vater gefertigt hatte. Pasquale, der Spiegelmacher. Der Mann, der Eleonora heiraten wollte. Oder sie ihn, wie auch immer man es betrachtete.
    Pasquale sah sich nach allen Seiten um und vergewisserte sich, dass niemand von Bedeutung das Treiben verfolgt hatte. Bis auf eine zerlumpte alte Frau, die mit einem greinenden Kleinkind vorüberkam, hatte niemand Notiz von ihm genommen. Und auch die Frau ging schnell weiter, als das Kind bei Pasquales Anblick noch lauter schrie als vorher.
    Er kam zum Zellenfenster gehinkt, so eilig, dass sein Holzbein über das Ziegelpflaster scharrte.
    Giustiniano trat einen Schritt zur Seite, sodass Sanchia ungehindert hinausschauen konnte. Sie streckte die Hand zwischen den Stäben hindurch, und Pasquale fiel auf das gesunde Knie und ergriff sie. »Wo ist sie?« Er starrte in die Zelle und stöhnte auf, als er Eleonora reglos auf dem Fußboden hocken sah. »Was ist mit ihr passiert?«
    »Nichts, was nicht wieder gut wird.«
    »Eleonora? Eleonora! Liebes, hörst du mich? Kannst du herkommen, zum Fenster?«
    »Lass sie. Sie ist müde und muss sich ausruhen.«
    Lorenzo ahnte, dass Eleonoras Zustand wenig mit Müdigkeit zu tun hatte. Schon die Information, dass Giulia gefoltert worden war, hatte ihn mit Entsetzen erfüllt, doch diese Gefühle waren bedeutungslos, verglichen mit der Erleichterung, Sanchia halbwegs wohlauf vorzufinden. Die kurze Botschaft, die Rufio ihm im Beisein von Caterina übermittelt hatte, war alles andere als aussagekräftig gewesen. »Ein Zwerg war hier und hat erzählt, dass Sanchia im Gefängnis sitzt.«
    Er fühlte einen Stich von sinnloser Eifersucht, als er sah, wie Sanchia Pasquales Hand umklammert hielt. Er registrierte, wie der Spiegelmacher ihr etwas zusteckte und sah, dass es ihr Anhänger war.
    Da für den Moment keine unmittelbare Gefahr mehr zu drohen schien, ging er ebenfalls hastig in die Hocke, um Sanchia endlich ins Gesicht sehen zu können. Sie war blass und wirkte restlos übermüdet; unter ihren riesenhaft geweiteten Augen lagen dunkle Ringe. Er fluchte unterdrückt, als er feststellte, dass ihr Haar von Blut verkrustet war.

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