Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Auch ihre Kleidung war über und über mit getrocknetem Blut besudelt.
»Sanchia! Was um Himmels willen ist geschehen? Bist du verletzt?«
Sie schüttelte den Kopf und holte Luft. »Du bist da! Jetzt wird alles gut!«
»Hab keine Angst! Ich hole dich hier raus!« Doch er hatte kaum die Hand ausgestreckt, um sie zu berühren, als der Spiegelmacher ihn rüde zur Seite schubste. »Besser, Ihr verschwindet und nehmt den Zwerg mit.« Pasquale zerrte einen nach ranzigem Öl stinkenden, zu einem schmalen Streifen geschnittenen und verdrehten Strang aus seinem Beutel und stopfte ein Ende davon in den Topf, den er anschließend mit einem festen Deckel verschloss. Er wandte sich an Sanchia.
»Dreht die Pritsche um und hockt euch dahinter, bis der Knall ertönt«, befahl Pasquale ihr. »Anschließend kommt ihr alle sofort zum Fenster.« Mit gebieterischer Geste deutete er auf den kahlköpfigen, von Flohbissen übersäten Greis, der aus dem Fenster der benachbarten Zelle die Versammlung nebenan mit offenem Mund anstarrte. »Du da drüben – verzieh dich besser in eine Ecke, wenn du nicht willst, dass dir die Nase wegfliegt.«
»Was soll das werden?« Lorenzo runzelte die Stirn. »Ihr wollt doch nicht etwa …«
»Allerdings«, sagte Pasquale, während er sein Feuerbesteck aus dem Beutel nahm. »Was dachtet Ihr denn? Dass man ein Gesuch einreichen könnte? Ein oder zwei noble Herren des Zehnerrats einschalten sollte?«
Lorenzo fühlte sich auf lachhafte Weise unzulänglich, weil er genau das im Sinn gehabt hatte, doch er hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als es zuzugeben. Stattdessen tat er das Einzige, was im angesichts der Sachlage halbwegs vernünftig erschien. Er versuchte, dem Spiegelmacher sein irrwitziges Vorhaben auszureden.
»Mit einem solchen Gewaltakt bringt ihr die Frauen doch nur in Gefahr, begreift Ihr das nicht? Sie könnten verletzt werden!«
»In der Tat«, ließ sich Giulia von drinnen vernehmen. Ihre Stimme klang trotz des unterdrückten Schmerzes sarkastisch und bitter. »Mein lieber Lorenzo, du verkennst den Ernst der Lage gründlich. Verschwinde und komm nicht wieder, das ist gesünder für uns alle.«
»Vielleicht sagt mir einfach jemand, was passiert ist.«
»Keine Zeit«, sagte Pasquale lapidar.
»Ich denke nicht …« Das Geräusch einer Explosion unterbrach ihn mitten im Satz. »Was war das?«
»Ein Ablenkungsmanöver auf der anderen Seite. Eine Ladung in einem Kellerschacht, mit speziellen Zusätzen, die für eine Menge Rauch und Gestank sorgen. Es sollte reichen, bis wir wieder weg sind. Los, geht zur Seite.« Pasquale schlug behände Feuer und setzte die Lunte in Brand. »Rasch, Sanchia, Eleonora, hinter die Pritsche.«
Aus dem Inneren des Palazzo Ducale war Geschrei zu hören, das sich entfernte. Offenbar ging Pasquales Konzept auf. Leute liefen von allen Seiten zusammen und rannten zur Nordseite des Gebäudes, um die Ursache des Rauchs zu ergründen.
Lorenzo überlegte immer noch, wie er den Spiegelmacher daran hindern konnte, dieses selbstmörderische Unterfangen durchzuführen, als dieser kurz zu ihm aufblickte, den Topf in der Hand. Züngelnde Flammen leckten an der Lunte entlang, sie hatten die ausgestanzte Öffnung im Deckel fast erreicht.
»Es geht nicht anders«, sagte Pasquale ruhig. »Ich kenne die Anklage, Ihr nicht. Also glaubt mir einfach und tretet zur Seite, wenigstens zehn Schritte.«
Lorenzo vergewisserte sich noch im Weggehen, dass Sanchia Pasquales Anweisung befolgte. Er hörte Giulia einen gequälten Schrei ausstoßen und sah sie dann an der Wand neben der umgestoßenen Pritsche zusammensacken. Sie hatte vorhin nicht übertrieben mit ihrer Ankündigung, was im Falle ihres Aufstehens geschehen würde.
Während Lorenzo sich rückwärtsgehend einige Schritte in Richtung Piazetta entfernte, riss Pasquale sich das Halstuch herunter und band den Topf in einer einzigen fließenden Bewegung, die von langjähriger Routine kündete, dicht unter der oberen Mauereinfassung an einem der Gitterstäbe fest. Die Lunte glomm unterdessen beständig weiter.
Der Alte hockte mit seligem Grinsen neben Pasquale und starrte ihn an wie eine Fleisch gewordene Reliquie.
»Da sind zwei Verrückte bei der Arbeit«, befand Giustiniano. Er hielt sich dicht neben Lorenzo und ließ das Geschehen an der Mauer nicht aus den Augen.
Lorenzo gab ihm insgeheim Recht, doch das war im Augenblick zweitrangig. Nur zu deutlich war er sich der Blicke der Menschen bewusst, die wie an jedem
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