Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
mühsam.
Sagredo nickte. »Der Zehnerrat hat Grimani wieder auf freien Fuß gesetzt.«
Das kam für Lorenzo nicht unerwartet, auch wenn es bitter war. Der entscheidende Faktor bestand schlicht darin, dass ein weiteres Messer aufgetaucht war, von dem hinterher niemand mehr genau sagen konnte, wem es gehörte. Am Ende war, wie in solchen Fällen nicht ungewöhnlich, hinter den Kulissen an diversen Fäden gezogen worden. Ein junger Heißsporn hatte Raufhändel gesucht, ein anderer junger Heißsporn hatte sich eingemischt. Mehr war nicht passiert. Niemand war tot, drakonische Strafen waren nicht vonnöten, und der Rest war geschickter Verhandlung zugänglich. Lorenzo blieb angesichts seiner Verletzungen von einer Verhaftung verschont, und Enrico kam nach wenigen Tagen frei. Die Wogen waren geglättet, die Gerechtigkeit wiederhergestellt. Lorenzo konnte sich lebhaft vorstellen, wie alles abgelaufen war. In diesem Fall mochte es auch ihm zugute gekommen sein, doch diese Einsicht ließ Enricos Freilassung nicht erfreulicher erscheinen.
Sagredo setzte seinen Bericht fort. »Es gibt auch Neuigkeiten aus dem Kloster. Eine der jüngeren Nonnen hat etwas zu dem Vorfall in der Küche ausgesagt. Sie heißt Maddalena Barbarigo und ist dreizehn Jahre alt. Tochter eines Prokurators und Nichte des Dogen. Also eine über jeden Zweifel erhabene Zeugin.«
»Sie hat Sanchia bei der Krankenpflege geholfen.«
Sagredo nickte, es war ihm bereits bekannt. »Sie hat alles beobachtet. An dem Abend ist sie noch in die Küche gegangen, weil sie in einer der Vorratskammern nach dem verfaulten Fleisch sehen wollte, das Sanchia dort versteckt hatte.«
Auf Lorenzos verständnislosen Blick hin verzog Sagredo das Gesicht. »Ich wollte es auch nicht glauben, aber offenbar sollte es dazu dienen, Maden hervorzubringen, die Sanchia wiederum für die Behandlung von Wunden einsetzen wollte. Frag mich nicht, wie oder wieso, aber so lautete die Aussage der Kleinen. Sie wollte nachsehen, ob schon Maden auf dem Fleisch saßen, als in der Küche unheimliche Geräusche ertönten. Ein Stöhnen und Grunzen wie von einem Schwein, hat sie gesagt. Zuerst hat sie sich versteckt, denn sie ging davon aus, dass es der Deutsche wäre, der sich häufig in der Küche herumtrieb und sich immer wieder mal an die Nonnen herangemacht hat. Dann waren Schreie zu hören, und sie erkannte Sanchias Stimme. Sie kam aus ihrem Versteck und ging zur Küchentür. Dort sah sie dann die Bescherung.« Sagredo holte Luft. »Der Deutsche hat Eleonora vergewaltigt und ihr dabei ein Messer an die Kehle gehalten, damit sie es stumm erträgt. Sanchia ist auf ihn los und hat ihn von ihr weggerissen. Der Deutsche führte sich auf wie ein Berserker, hat das Mädchen gesagt. Schließlich blieb den beiden Frauen nichts anderes übrig, als ihm das Messer zu entwinden und es gegen ihn einzusetzen, bis sie sicher sein konnten, dass er ihnen nichts mehr tun werde. Dabei, so meinte sie, sei Suor Eleonora wahrscheinlich Blut in die Augen geraten, sodass sie nicht mehr richtig habe sehen können. Aber sie habe die ganze Zeit über in lauten Gebeten den Herrn angerufen, um sich seines Beistandes zu versichern.«
»Das hat sie gesagt?«
»Sie hat es auf die Bibel geschworen, so wahr ich hier stehe. Man hat sämtliche Anklagepunkte gegen Sanchia und Eleonora fallen gelassen, und in der Folge hat man auch den Vorwurf der Gefangenenbefreiung gegen dich niedergeschlagen.«
»Wie, sagtest du, heißt das Mädchen?«
»Maddalena Barbarigo.«
»Sie muss ein besonderer Mensch sein.«
»Das ist sie ohne Frage. Ich sehe sie in vielleicht zwanzig Jahren oder sogar schon früher als Äbtissin. Sie hat vom Wesen her einige Ähnlichkeit mit Albiera und Annunziata. Wenn man außerdem ihre Entschlossenheit in Relation zu ihrer Jugend setzt, steht ihr sicher eine große Zukunft bevor.« Es sollte scherzhaft klingen, aber seine Miene war so ernst, dass Lorenzo beunruhigt zu ihm aufsah. Sagredo hatte ihm noch nicht alles gesagt.
»Was verschweigst du mir?«
»Ich verschweige nichts. Mir war nur nicht danach, sofort mit dem Schlimmsten herauszurücken.« Sagredo senkte den Kopf und sprach dann zögernd weiter. »Einer der Kundschafter kam heute von der Terraferma zurück. Sie sind zunächst sicher gelandet, in der Nähe von Chioggia. Girolamo hat bei ein paar Dorfleuten Kleidung und Vorräte gekauft, auch für die Frauen. Am selben Morgen gab es einen Überfall. Piraten liefen die Küste an, anscheinend haben sie ihre
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