Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
beobachtete, wie die Mönche einander unschlüssig ansahen. Es stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben, was sie dachten. Sie hatten Hunger, doch ihr Vorbild Savonarola predigte Askese. Piero ließ Wein und Zuckerwerk verteilen, während Savonarola das Volk zu Wasser und Brot verdammte. Die Mönche haderten sichtlich mit ihrem Schicksal, ihr Dilemma trat offen zutage. Einer von ihnen schickte sich an, weiterzugehen, blieb jedoch abermals stehen, als seine Gefährten keine Anstalten machten, ihm zu folgen. Mit vor der Brust verschränkten Armen sah er zu, wie die beiden anderen zu den Karren mit den Fässern liefen und von dem angebotenen Likör tranken. Von den Gebäckstücken nahmen sie, so viel sie kriegen konnten. Als sie zurückkehrten und sich wieder zu ihrem Begleiter gesellten, konnte Sanchia von ihrem Beobachtungsposten aus sehen, wie jung sie waren, höchstens fünfzehn oder sechzehn. Ihre Gesichter über den strengen Kutten waren bartlos und glatt und trugen den Ausdruck kläglicher Beklommenheit.
    Kinder, dachte Sanchia bestürzt.
    Kinder, die sich im Schutze der Dunkelheit mit anderen Jugendlichen der umliegenden Viertel zu Schlägertrupps zusammenrotteten, um die Anwohner aus den Häusern zu treiben, sie zu treten und zu demütigen und mit Gewalt und Worten so lange einzuschüchtern, bis sie widerstandslos zusahen, wie ihre Habe ins Freie geschleppt und auf den Plätzen und in den Gassen ins Feuer geworfen wurde. Sanchia wusste, dass sie von Unrecht umgeben war. Wie konnte Gott es gutheißen, Bücher zu verbrennen und Kinder zu fanatischen Handlangern oder Denunzianten ihrer Eltern werden zu lassen?
    Die jungen Mönche schauten gleichzeitig schuldbewusst und erleichtert drein, während sie mitten im strömenden Regen hastig den Kuchen in sich hineinstopften und sich anschließend die Hände an den Kutten abwischten.
    Die Männer des Medici kamen über die Piazza und verteilten nach allen Seiten Becher mit Likör und Gebäckstücke, die ihnen förmlich aus den Händen gerissen wurden. Auch die Menschen, die sonst ergriffen den Worten des Bußpredigers lauschten, mussten irgendwann essen.
    »Vom Beten wird man anscheinend nicht satt genug«, murmelte Sanchia.
    Der wartende Mönch drehte den Kopf in ihre Richtung, als hätte er sie gehört. Er starrte sie durch den Regen hinweg an, und Sanchia fasste unwillkürlich an ihre Haube, um den korrekten Sitz zu prüfen. Doch er hatte nicht sie angesehen, sondern seine jungen Ordensbrüder. Kaum waren sie in Hörweite, überhäufte er sie auch schon mit Vorwürfen wegen ihrer Maßlosigkeit. Beide Jungen zogen die Köpfe ein, und hastig folgten sie ihrem Anführer, der mit durchgedrücktem Rücken an dem neuen bronzenen Reiterdenkmal Giambolognas vorbeieilte und dann in der Menge verschwand.
    Sanchia starrte in den Regen. Sie und Girolamo hatten sich ebenso wie viele andere vor einer Viertelstunde hier unter den Loggien seitlich vom Verwaltungsgebäude untergestellt, um das Ende des Schauers abzuwarten, doch im Augenblick sah es nicht danach aus, als würde das Wetter sich bessern.
    Die Männer des Fürsten kamen näher und winkten den Menschen, die sich zwischen den Arkaden drängten. Einer von ihnen verkündete in der Art eines Herolds die angeblichen politischen Erfolge Piero de’ Medicis. »Frieden!«, schrie er. »Unser Herrscher wird uns Frieden bringen! Er verhandelt mit dem König, und er wird dafür sorgen, dass Florenz vom Krieg verschont bleibt!«
    Vereinzelt wurden halbherzige Hochrufe laut, doch die meisten ließen sich nicht beeindrucken. Der Fürst galt nicht mehr viel in der Stadt. Im Gegensatz zu seinem mächtigen und erfahrenen Vater war er als Herrscher kaum mehr als eine verachtete Randfigur. Die Nachricht, dass er dem König Florenz und andere toskanische Städte praktisch ausgeliefert hatte, war seiner Rückkehr vorausgeeilt und durch die Stadt gegangen wie ein Lauffeuer.
    »Statt mit den Franzosen schönzutun, soll Piero lieber die Betbrüder davonjagen«, sagte ein vornehm gekleideter Mann, der an einer der Säulen lehnte.
    »Pass auf deine Worte auf!« Die nicht minder kostbar gekleidete Frau an seiner Seite schaute sich um. »Vorhin waren hier noch ein paar von ihnen!«
    »Lieber fromme Betbrüder als sündige Bettschwestern«, rief ein Mann aus der Menge, der die Unterhaltung verfolgt hatte.
    »Sei still, du Dummkopf!«, kreischte eine Frau. »Ich gehe jetzt da rüber und hole mir den Kuchen! Meine Kinder haben Hunger, und wenn der

Weitere Kostenlose Bücher