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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Frate uns auch das Essen noch verbietet, können wir uns gleich aufhängen!«
    »Ja, tu das, dann ist ein unanständiges Weib weniger auf der Welt!«
    »Dir werde ich es gleich geben, du Schandmaul!«
    »Lass uns gehen«, sagte Sanchia zu Girolamo. Sie schob sich vorwärts, während um sie herum bereits ein Handgemenge losbrach, das rasch in eine handfeste Schlägerei mündete.
    Girolamo drängte sich durch die Menge und bahnte ihr eine Gasse, hinaus in den Regen. Gemeinsam liefen sie mit eingezogenen Köpfen über den Platz. Ihre Holzpantinen trommelten auf das Pflaster, und Sanchia spürte, wie sich ihre Rocksäume binnen weniger Augenblicke voll Wasser sogen.
    Auf Höhe der Gefolgsleute der Medici blieb Girolamo stehen und nahm mit ungerührter Miene zwei Zuckerkrapfen in Empfang, von denen er einen an Sanchia weiterreichte.
    Sie betrachtete ihn einen Moment lang zweifelnd, doch dann biss sie entschlossen davon ab und schlang ihn gleich darauf vollends herunter, bevor er restlos im Regen aufweichen konnte. In der Zeit seit ihrer Flucht aus Venedig hatte sie gelernt, dass es wichtigere Dinge gab als Bücher oder Gebete oder politische Krisen.
    Eines davon war das Essen.
    Sie hielt ihre Blicke auf Girolamos breiten Rücken gerichtet, während sie ihm am Palazzo della Signoria vorbei in Richtung Fluss folgte. Der Arno strömte trübe unter den Regenschleiern dahin, und als sie den Ponte Vecchio erreichten, waren sie längst beide klatschnass.
    Sanchia hielt die Luft an, als sie über die Brücke gingen und an den Schlachterläden vorüberkamen. Der Gestank nach rohem Fleisch war trotz der Feuchtigkeit durchdringend und abstoßend. Seit dem Aufstehen hatte sie außer einem Kanten Brot nichts gegessen, und das war Stunden her. Das Gebäck von vorhin hatte lediglich ausgereicht, ihren Appetit anzuregen. Ihr Magen knurrte, und sie sehnte sich nach einer Schale von Federicas Eintopf, ganz egal, wie eintönig es auch immer sein mochte, Tag für Tag Kohlsuppe essen zu müssen.
    Sanchia ahnte, dass sie morgen krank sein würde. In ihrer Nase spürte sie bereits das unverkennbare Kribbeln des nahenden Schnupfens, und auch ihr Hals hatte sich schon mit einem Kratzen gemeldet. Für die Novemberkälte war sie bei weitem nicht warm genug angezogen, aber ihre Garderobe bot mit zwei Kleidern gerade genug Auswahl, regelmäßig ein schmutziges gegen ein sauberes Gewand tauschen zu können. Vorausgesetzt, das gewaschene Kleid war getrocknet, bevor dasjenige, das sie am Leib trug, schon wieder besudelt war. In Anbetracht dessen, dass sie täglich durch schlammige Gassen lief und Patienten behandelte, die unter blutigem Auswurf, Durchfall oder Eiterbeulen litten, war das eher ein Glücksfall. Davon abgesehen besaß sie nur einen einzigen Umhang, den sie ständig brauchte und folglich nur selten waschen konnte. Hätte sie sich nicht hin und wieder aus Giulias stetig wachsendem Kleidungsfundus bedienen dürfen, wäre es vermutlich um ihre Gesundheit übel bestellt.
    Ein Händler kam aus seiner Bretterbude geschlurft und kippte aus einem Fass blutiges Gekröse über das Geländer ins Wasser, und drei Hütten weiter schleppten zwei Lehrjungen ein halbes Schwein ins Freie, um es ebenfalls in den Fluss zu befördern.
    »Waren schon Maden drin«, sagte einer der beiden lapidar.
    »Nicht, lasst mich …«
    Sanchia streckte die Hand aus, doch die Schweinehälfte flog schon durch die Luft und platschte gleich darauf ins Wasser.
    Der Junge starrte sie mit offenem Mund an, während er sich den Rotz von der Nase wischte. »Wollt Ihr Schweinefleisch? Wir haben auch welches, das ein bisschen frischer ist.«
    Girolamo war bereits weitergegangen, und Sanchia beeilte sich, ihm zu folgen. Madiges Fleisch gab es überall, sie musste nur in einer der Schlachterhütten danach fragen, sobald sie das nächste Mal auf den Ponte Vecchio kam. Eine von Girolamos Wunden hatte wieder angefangen zu schwären. Er wusste, dass ihm die Madenbehandlung half, aber er hasste es, die wimmelnden Parasiten an seinem Körper bergen zu müssen. Er spürte ihre Bewegungen in der offenen Wunde und musste die Zähne zusammenbeißen, um es zu ertragen. Sanchia hatte den Eindruck, dass er die Prozedur nur erduldete, um ihr einen Gefallen zu tun.
    Sie überquerten den Fluss und bogen am anderen Ufer rechts und gleich darauf wieder links ab, um dem Lauf einer schmalen Gasse zu folgen, vorbei an tristen Behausungen, bis sie ihr Quartier erreicht hatten, das nur einen Steinwurf

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