Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
Schmerzen, doch über dieses Stadium war er weit hinaus. Sein rechtes Bein lag in verkrümmtem Winkel frei, das linke war oberhalb des Knies eingeklemmt. Die Einkerbung war so tief, dass an dem Zustand des Beines nichts zu deuteln war. Es war völlig zerquetscht und so flach gedrückt, dass man daneben kaum eine Hand unter die Kante des Decksaufbaus hätte schieben können.
    Das Schiff war in zwei Teile gebrochen, und hier und da lagen weitere kleinere Einzelteile und Masten herum, die sich bei dem Unfall ebenfalls gelöst hatten. Männer schwenkten Flaschenzüge und knüpften armdicke Taue an die Verstrebungen, während hektische Rufe hin und her flogen, weil alles so lange dauerte. Zwei Bootsbauer versuchten, den Kabinenaufbau mit Balken hochzuhebeln.
    »Wo bleiben die verdammten Zugpferde?«, brüllte jemand.
    »Was ist mit den anderen Verletzten?«, fragte Sanchia, während sie aufstand. Sarpi deutete stumm mit der Hand. Man hatte sie bereits geborgen, an der Hallenwand niedergelegt und mit Tüchern bedeckt. Vor ihnen hockten weinende Frauen und Kinder.
    »Sie waren leider sofort tot«, sagte Sarpi. Erwartungsvoll blickte er Sanchia an. »Was denkt Ihr? Amputieren oder warten? Ich habe seinen Puls gefühlt, und mir scheint, es geht dem Ende zu, wenn wir nicht schnell handeln.«
    Battario schob sich nach vorn. »Ich habe ebenfalls den Puls gefühlt und fand ihn kräftig und laut.«
    »Eine dritte Fachmeinung kann nicht schaden«, sagte Sarpi.
    »Was soll eine Hebamme schon dazu sagen können?«, widersprach Battario.
    »Hebammen haben ein hervorragend geschultes Ohr für allerlei Herztöne«, sagte Sarpi.
    Darauf ging Battario nicht ein. »Ich bin der Meinung, wir sollten ihn kräftig zur Ader lassen.«
    Sanchia mischte sich ein. »Hier nützt weder Amputation noch Aderlass. Er ist leider tot.«
    »Ich sagte doch, sie versteht nichts davon!« Battario bedeutete dem Weiblein, den Eingeklemmten zu untersuchen. Sie beugte sich nur kurz über ihn, dann schüttelte sie stumm den Kopf.
    »Oje!«, meinte Sarpi niedergeschlagen. »Das muss gerade erst passiert sein. Wir hätten wohl doch nicht so lange darüber reden, sondern es lieber gleich tun sollen. Dann hätte er vielleicht noch Aussichten gehabt, es zu überleben. Oder?« Er trat näher, den Finger an die Nase gelegt. »Hm, mir schwant, er kann nicht an dem eingeklemmten Bein gestorben sein. Ich habe schon Männer gesehen, deren Gliedmaßen völlig abgetrennt waren, und sie lebten und waren bei vollem Bewusstsein.« Stirnrunzelnd ging er neben dem Toten in die Hocke. »Woran es wohl lag? Plötzlicher innerer Schock infolge akuten Versagens des Gallenflusses?«
    »Vermutlich war sein Rückgrat gebrochen.« Sanchia hatte sich neben die Frau des Toten gekniet, die lautlos in Ohnmacht gefallen war, als sie gehört hatte, dass ihr Mann tot war. Sie holte ein Fläschchen mit Salmiak aus ihrem Beutel und schwenkte es unter der Nase der Bewusstlosen hin und her, bis die Frau röchelnd zu sich kam.
    Sarpi bewegte den Toten vorsichtig. »Ah, das Rückgrat gebrochen. Natürlich. Das wäre eine Möglichkeit. Eine überaus einleuchtende. Nun, wir werden es untersuchen.«
    Battario hatte daran offenbar kein Interesse. Er entfernte sich zügig, wobei er sich Mühe gab, mit einem möglichst hoheitsvollen Gesichtsausdruck darüber hinwegzutäuschen, dass er einen Zipfel vom Gewand seiner voraushumpelnden Assistentin umklammern musste, um nicht vom Weg abzukommen.
    Sanchia half der weinenden Frau auf, die sofort von ihr wegtaumelte, hinüber an die Wand, zu den anderen Witwen, wo sie schluchzend in deren Armen zusammenbrach.
    Sanchia strich sich mit dem Handrücken über die schweißfeuchte Stirn. Sie konnte hier nichts mehr tun. Die Frau suchte Trost bei ihren Leidensgenossinnen und würde Sanchia erst wieder brauchen, wenn sie ihr Kind bekam – oder es vorher verlor.
    Es war heiß in der Halle, obwohl die Wände fast nur aus Verstrebungen bestanden. Der Geruch nach frisch gesägtem Holz, nach Pech, Leinöl und Farbe hatte sich unmerklich verändert. Jetzt war der Geruch des Todes hinzugekommen. Nicht durchdringend wie Verwesung oder metallisch wie Blut, sondern eher auf eine Art, die sich subtiler ins Innere schlich, nicht durch die Nase, sondern die Augen und die Haut.
    »Ihr seht blass aus, Monna Sanchia.« Sarpi nahm ihren Arm. »Lasst mich Euch hinausbegleiten.«
    Er führte sie durch das Gewimmel der Arbeiter, vorbei an blubbernden Pechfässern und Holzstapeln, und er ließ

Weitere Kostenlose Bücher