Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
spöttisch. »Passt auf, dass Ihr nicht die Arbeiter am Uhrturm trefft«, meinte er lachend.
Lorenzo runzelte die Stirn und suchte nach einer Möglichkeit, dieser Farce so schnell wie möglich zu entfliehen, doch die Zuschauer drängten sich bereits nach vorn, um ihn besser sehen zu können. Am besten war es, er machte gute Miene zum bösen Spiel und tat das, was sie erwarteten. Seufzend wog er eines der Messer in der Hand. Er war nicht überrascht, es perfekt ausbalanciert zu finden. So, wie es vorher bereits benutzt worden war, hatte er nichts anderes erwartet.
Die Stoffstücke flatterten im Wind auf und ab und erschwerten damit das Zielen, doch Lorenzo hielt sich nicht damit auf, einen der schmutzig weißen Fetzen großartig anzupeilen. Er bog den Arm über die Schulter nach hinten und warf das erste Messer.
Das Beifallsgeschrei hinter ihr ließ darauf schließen, dass einer der Zuschauer sich besonders hervorgetan hatte und die Bewunderung aller hervorrief.
Sie hatte den Rand der Piazetta erreicht und wandte sich der Brücke zu, die über den Rio di Palazzo hinüber zur Riva degli Schiavoni führte, als jemand sie von hinten packte, ihr den Mund zuhielt und unter die Arkaden schleifte. Enrico Grimani stieß sie heftig gegen die Wand, sein Gesicht so dicht vor dem ihren, dass sie die winzigen Haare sehen konnte, die in seinen Nasenlöchern wuchsen.
»Kleines blondes Mädchen«, flüsterte er. Ein Spritzer seines Speichels traf ihre Lippe, und sie hätte am liebsten laut geschrien vor Ekel und Furcht. Doch sie konnte keinen Laut von sich geben, denn seine Hände lagen um ihren Hals und drückten ihr die Luft ab. Das Sonnenlicht schien sich zu trüben, und es war, als sei unmerklich die Dämmerung heraufgezogen, obwohl es noch helllichter Tag war. Sie merkte, wie ihr die Sinne schwanden.
Hinter seinem Rücken sah sie Menschen vorübergleiten wie blasse Schemen. Für die Passanten mussten sie aussehen wie ein Liebespaar, das sich gegen die Hauswand lehnte. Niemandem fiel auf, dass dies ein Stelldichein des Todes war.
»Wo ist sie? Wo ist Giulia?«
Er hatte seinen Griff leicht gelockert, gerade nur so viel, dass sie nach Luft ringen konnte.
»Sprich, oder ich töte dich!«
Sie war froh, an dieser Stelle ein Versprechen einlösen zu können. »Sie lebt nicht mehr. Die Türken haben sie erwischt, am Strand von Chioggia. Ich konnte entkommen, aber sie hat es nicht geschafft.«
»Du lügst!«
»Bei den Heiligen, ich sage die Wahrheit. Sie war durch den Strappado so verletzt, dass sie nicht weglaufen konnte, als die Türken kamen.«
Er starrte ihr prüfend in die Augen, und plötzlich fuhr sein Daumen liebkosend über ihr Kinn. »Wie weich deine Haut ist! Du bist so schön wie früher. Nein, noch schöner.« Seine Hand glitt über ihren Oberkörper, und er grunzte befriedigt, als er unter dem groben Stoff ihres Gewandes eine Brust ertastete. »Erinnerst du dich noch an jenen Nachmittag im Februar, als die Lagune zugefroren war? Was waren das für herrliche, unbeschwerte Zeiten, als wir alle noch jung waren!« In seinem Blick lag tatsächlich eine Spur Wehmut. »Damals lebte meine kleine Schwester noch. Und schon im nächsten Frühjahr war sie tot! Wie schnell die Schwindsucht sie dahingerafft hat! Es heißt, du hast dich rührend um Elisabettas Pflege gekümmert, bevor sie starb. Habe ich mich schon dafür bedankt?« Seine Stimme, eben noch melodiös und weich, verwandelte sich abrupt in ein wütendes Zischen. »Damals hast du deinen ersten großen Fehler begangen: Du hast ihn vor dem Ertrinken gerettet. Dein zweiter Fehler war, mit ihm zu schlafen. Der dritte besteht darin, dass du zurückgekommen bist und deine Nase in Dinge steckst, die dich nichts angehen.« Erneut schien seine Stimmung zu wechseln. Er drückte sich mit seinem ganzen Körper an sie und rieb sich ein wenig an ihr. »Ah, ich könnte Lust auf dich bekommen!« Dabei drückte er ihr den Hals so hart zu, dass sie fast das Bewusstsein verlor.
Sie wand sich vor Hass und Widerwillen und wusste sich schließlich nicht anders zu helfen, als das Knie zu heben, um es ihm in den Schritt zu rammen. Doch er hatte offensichtlich damit gerechnet und wich ihr geschickt aus.
Immerhin hörte er mit den obszönen Zudringlichkeiten auf und löste den Druck auf ihre Kehle. Unverwandt starrte er ihr in die Augen. »Alfonso war vorhin bei mir, er kam, so schnell er konnte. Dachtest du, er erkennt dich nicht wieder? Eine Frau wie dich?« Er hob belustigt die
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