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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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einziges Mal getroffen. Was war daran so besonders?«
    Sanchia unterdrückte ein Kichern, wurde aber gleich darauf wieder ernst. Der Kleine erinnerte sie an Marco. Es gab ihr einen Stich, als sie sich vorstellte, wie sehr er sich über die Zirkusaufführung gefreut hätte, und plötzlich wünschte sie sich, dass sie ihm all das hier hätte zeigen können. Unzählige Male hatte sie sich schon mit Gedanken zermürbt, wie es Giulia wohl in der Zwischenzeit ergangen sein mochte, aber ohne jede Nachricht blieb ihr nichts weiter übrig, als das Beste zu hoffen – schon im Interesse von Marco. Zweimal hatte sie einen Brief nach Florenz geschickt, doch in beiden Fällen keine Antwort erhalten. Manchmal dachte sie tagelang nicht an das Kind, aber dann wieder überfiel die Erinnerung sie mit solcher Macht, dass die Sehnsucht sie beinahe lähmte. Noch schlimmer war es, wenn es regnete und gleichzeitig die Sonne zwischen den Wolken hervorlugte. Sie hatte Ausschau gehalten, aber bisher hatte sie noch keinen Regenbogen entdecken können.
    Die Akrobaten auf der Piazza wanderten am Rand der mit Bändern abgegrenzten Arena entlang und forderten die Zuschauer auf, zur Unterhaltung der Übrigen ebenfalls ihr Glück mit Seiltanzen, Feuerschlucken, Jonglieren oder Messerwerfen – allerdings ohne die Jungfrau – zu wagen. Ganz Mutige durften sogar zum Löwen in den Käfig. Von allen Seiten stieg Gelächter auf, als die ersten Laiendarsteller ihre eigenen Versuche zum Besten gaben.
    »Kommt in den Kreis, ihr tapferen Herren, zeigt Euren Mitbürgern, wie versiert Ihr in der Kunst des Messerwerfens seid! Einen Gulden für den, der alle Stoffstücke trifft!«
    »Wer wagt sich zu dem grausigen Leu hinein? Kommt näher, ihr jungen Männer, beweist eure Tapferkeit!«
    Sanchia schaute noch kurz zu, wie einer der eifrigen Helden zum Löwen in den Käfig kroch, sich von innen mit dem Rücken gegen die Stäbe drückte und von dort aus das Tier schlotternd vor Angst anstarrte. Dieses hatte sich allerdings lethargisch in einer Ecke hingelagert und würdigte den Besucher keines Blickes.
    Sanchia ging lächelnd weiter. Die Glocken hatten soeben zur Vesper geläutet, und allmählich wurde sie hungrig.
    Eine Frau wanderte am äußeren Kreis der Zuschauer entlang. Sie trug ein einfaches graues Gewand und eine ausladende Haube, doch die Linie des schmalen Nackens und der geschwungene schlanke Rücken zogen Lorenzos Blicke auf sich. Er reckte sich, um mehr von ihr erkennen zu können, doch sie hatte sich bereits abgewandt und war in der Menge verschwunden. Lorenzo suchte nach einer Lücke im Gedränge der Umstehenden, um sie vielleicht doch noch von vorn zu sehen, als eine Hand sich schwer auf seine Schulter senkte.
    »Warum gehst du nicht hin und zeigst es ihnen?«, fragte Enrico.
    Lorenzo starrte ihn an. Am liebsten hätte er ihm das falsche Grinsen aus dem Gesicht geschlagen. Oder zumindest die Hand von seiner Schulter gestoßen. Stattdessen begnügte er sich damit, einen Schritt zurückzutreten. »Ich denke nicht, dass es die Leute unterhalten würde.«
    »Oh, wieso stellst du dein Licht unter den Scheffel? Jeder, der dich kennt, weiß doch, wie gut du mit dem Wurfmesser umgehen kannst.«
    »Wirklich?« Lorenzo schaute betont interessiert auf Enricos Rechte. Er wusste, dass die Hand gut verheilt war, aber Enrico hatte sie nie wieder richtig gebrauchen können. Grobe Tätigkeiten konnte er verrichten, um ein Schwert zu führen, reichte es. Aber für Feinarbeiten wie das Schreiben taugte die Hand nicht mehr, ganz zu schweigen davon, dass sie nicht sonderlich Vertrauen erweckend aussah. Der Mittelfinger war steif geblieben und ragte wie ein boshafter kleiner Spieß heraus, wodurch die Hand klauenartig und seltsam verkümmert wirkte.
    Enrico war seinen Blicken gefolgt und ließ die Hand hastig sinken. Auf Höhe seines Schwertgehenks rieb er sie gegen seine mehrfarbige, kostbar schimmernde Seidenstrumpfhose, so heftig, dass das zarte Gewebe unter dem kantigen Stein seines Wappenrings zerriss. Enrico achtete nicht darauf, in seine Augen war ein fiebriger Glanz getreten. Er schaute über Lorenzos Schulter. »Ich hielte es wirklich für eine gute Sache, wenn hier einmal einer der Herren der Stadt den einfachen Menschen beweist, dass er sich nicht zu schade für derlei niedere Vergnügungen ist.«
    »In niederen Vergnügungen bist du der Experte. Warum versuchst du nicht dein Glück? Vielleicht im Jonglieren mit zwei Bällen«, schloss Lorenzo

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