Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
spöttisch.
Er trat abermals zurück, nicht, weil er Enrico ausweichen, sondern weil er sich nicht länger hier aufhalten wollte. Er hatte alle Attraktionen gesehen, und es wurde Zeit, dass er sich zu dem verabredeten Gespräch im Dogenpalast einfand.
»Wenn du mich nun entschuldigen willst. Auf mich wartet der portugiesische Gesandte.«
»Ah, immer im Dienste der Diplomatie, wie? Ist es an den Höfen Europas so, wie ich es mir vorstelle? Umschleicht ihr einander wie die Katzen auf dem glatten Parkett der politischen Intrigen? Übt ihr euch in geheimen Zeichen und Riten? Seid ihr tatsächlich so ein erlauchter Kreis wie eine Bruderschaft, zu der nur besonders Eingeweihte Zutritt finden?«
»Es ist ein Geschäft wie viele andere«, sagte Lorenzo gelangweilt. Er hatte ein feines Gespür für alle Arten von Missgunst und Unsicherheit, und der Gesichtsausdruck seines Gegenübers zeigte ihm, dass Enrico mit beidem zu kämpfen hatte. Er hasste Lorenzo, aber er hatte auch Respekt vor seinen Fähigkeiten, während es umgekehrt an Enrico nichts gab, was Lorenzo hätte bewundern können. Das bisschen politischer Instinkt machte seinen Charakter auch nicht besser. Sein Vater hatte ihm den Weg zu den höheren Ämtern geebnet, und anders, als viele Venezianer glauben mochten, gab es in den Kreisen des Adels ohnehin nur eine verschwindend geringe Anzahl von Männern, die sich für eine Position im Rat der Zehn interessierten. Außer der Macht als solcher brachte diese Tätigkeit nichts ein, und zudem bestand sie größtenteils aus trockener, langweiliger Verwaltungsarbeit und Jurisdiktion und vielen Ausschusssitzungen in zugigen kleinen Amtsstuben. Der größere Sitzungssaal, in dem der Consiglio dei Dieci im Plenum tagte, wurde nur selten benutzt. Giovanni war während seiner Zeit als Zehnerrat nicht müde geworden, sich über den mangelnden Komfort im Dogenpalast und ständig fehlende Akten zu beschweren.
Hinzu kam, dass Enrico auf großem Fuße lebte. Nach dem Tod seines Vaters schmolz der Familienreichtum zusehends dahin, und wenn Enrico nicht rasch eine zuverlässige Einnahmequelle auftat, würden es bald die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass das Haus Grimani auf die Pleite zusteuerte.
Erst vor ein paar Tagen hatte Giovanni Lorenzo darüber informiert. »Ich dachte, es freut dich vielleicht, mein Sohn. Während es uns immer besser geht, werden andere sich beizeiten fragen, wo ihr Geld geblieben ist.«
»Habe ich mich eigentlich schon dafür entschuldigt, dass ich dich niedergestochen habe?«, fragte Enrico mit gespielter Leutseligkeit. »Damals dachte ich allen Ernstes, du seiest an der Gefangenenbefreiung beteiligt. Dass du lediglich auf Raufhändel aus warst, konnte kein Mensch ahnen, auch nicht die Männer von der Wache. Dein Vater musste es erst allen erklären. Sie reden übrigens heute noch davon, was für einen unglaublichen Kampf du ihnen geliefert hast. Du bist unter den Gardisten so etwas wie eine lebende Legende.« Er senkte die Stimme. »Du weißt nicht zufällig, was aus den Gefangenen geworden ist, oder?«
»Sie sind tot.«
»Oh, wirklich? Wie traurig.« Abermals fiel Enricos Blick über seine Schulter, und plötzlich fasste er Lorenzo hart beim Oberarm und stieß ihn vorwärts, durch den Ring der Zuschauer und mitten hinein in die behelfsmäßige Zirkusarena. »Hier habe ich einen weiteren mutigen Kandidaten!«, schrie Enrico in die Runde. Von einem Ohr bis zum anderen grinsend, zeigte er zuerst auf Lorenzo und dann auf die hölzerne Bretterwand, an der sich einige glücklose Werfer betätigten. Die Jungfrau war verschwunden, stattdessen waren auf der Wand in regelmäßigen Abständen Stofffetzen befestigt, die es zu treffen galt.
»Halte deinen Gulden bereit, Messerwerfer, denn hier kommt ein Meister seines Fachs! Ein Patrizier, der sich nicht gescheut hat, diese schweißtreibende Kunst zu erlernen! Schaut alle hin und freut euch an ihm!«
Enrico wich eilig zur Seite, und Lorenzo fand sich unversehens im Zentrum der Aufmerksamkeit wieder. Wütend schaute er sich um, doch von allen Seiten trafen ihn erwartungsfrohe Blicke. Kinder, Frauen, Männer – alle musterten ihn mit teils freundlichem, teils bewunderndem Interesse.
»Wie ansehnlich er ist!«, rief eine Frau begeistert. »Allein dafür müsste er einen Gulden kriegen!«
Zu seinem Ärger merkte Lorenzo, wie er errötete. Der Messerwerfer sammelte eine Hand voll Messer ein und drückte sie ihm in die Hand. In seinen Augen blitzte es
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