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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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zu einem traurigen Lächeln verzogen.
    »Kleine Madonna«, sagte er.
    Sie lief auf ihn zu, die Taube immer noch fest in ihrer Hand.
    »Ich dachte nicht, dass ich Euch je wiedersehe!«, platzte sie heraus. »Wo wart Ihr die ganze Zeit? Wieso …« Sie stockte, als ihr unvermittelt aufging, dass sie nicht wusste, was sie ihn fragen sollte. Was immer zwischen ihnen stehen mochte, sie konnte es nicht zum Ausdruck bringen. Die Vergangenheit war mit einem Mal ein dunkles Gebilde voller Rätsel, die so verschlungen waren, dass es nicht einmal Begriffe gab, um sie in Worte zu kleiden.
    »Weißt du noch, der Tag, als dem Sodomit der Kopf abgeschlagen wurde?«, fragte er leichthin.
    »Ihr habt mir die Augen zugehalten«, sagte sie mit schwankender Stimme.
    Er nickte, den Kopf immer noch zur Seite gelegt, als wartete er auf etwas.
    »Und Ihr habt versucht, dasselbe weiterhin zu tun, auf andere Art!« Sie hätte ihn am liebsten geschlagen, ihm etwas von den Qualen heimgezahlt, die sie seinetwegen erduldet hatte.
    »Du sprichst von meiner kleinen Inszenierung bei der Lichtmessprozession? Und die gefälschte Nachricht, die ich dir vorher zukommen ließ, um sicherzustellen, dass du es siehst? Das ist lange her.«
    »Nicht für mich«, sagte sie tonlos.
    »Ah, aber es musste sein, Sanchia! Manches ist nötig, damit Menschen ihren Kopf behalten können. Jemandem die Augen zuhalten – oder seine Blicke woanders hinlenken.« Seine Hände fuhren in einen Beutel an seinem Gürtel und kamen mit bunten Bällen wieder heraus. Er bewegte nur leicht seine Handgelenke, und die Bälle flogen alle miteinander in die Luft, ein vielfarbiger Bogen aus drei, fünf und schließlich sieben surrenden Flecken, die sich vor seinem Gesicht und über seinem Kopf zu einem Kreis fügten. Hinter ihm in den Wandelgängen sammelten sich Nonnen in ihren dunklen Gewändern. Aufgeregtes Geschnatter und Gekicher schwebte durch die Säulen herüber.
    Sanchia trat auf ihn zu und schlug einen der Bälle zur Seite, worauf der perfekte runde Bogen sich in ein Gewirr herabfallender gefärbter Lederklumpen auflöste. Hoch aufgerichtet stand sie vor Sagredo und starrte ihn mit flammenden Augen an.
    »Woher wollt Ihr wissen, was gut ist für die Menschen? Oder wie viel sie ertragen können? Was macht Euch so sicher, dass sie Wert auf Eure Illusionen legen? Giulia hat Euer Geld genommen, weil sie es damals brauchte! Und weil Ihr verspracht, dass Ihr Euch für sie einsetzen würdet! Aber Ihr habt nur Eure Scharade im Sinn gehabt und habt ihr erst hinterher die bittere Wahrheit gesagt!« Ihre Stimme wurde schneidend. »Was maßt Ihr Euch eigentlich an? Wie könnt Ihr Euch herausnehmen, Zitronen für Orangen zu verkaufen?«
    »Es ist mein Geschäft.« Er lächelte. »Ich bin Obsthändler.«
    »Bei allen Heiligen, wer seid Ihr wirklich? Oder besser: Wofür haltet Ihr Euch?« Sie spie ihm die Worte förmlich entgegen. »Für Gott?«
    »Kleine Madonna, ich wollte dir nie Böses tun!« Er schüttelte den Kopf. »Alles diente nur deinem Schutz. Begreife es! Wer die Wahrheit kennt, verliert oft nur allzu schnell sein Leben!«
    »Ist es nicht manchmal besser, sein Leben zu lassen, aber vorher die Wahrheit gesehen zu haben?«
    »Ist es das wirklich?«, fragte er gelassen zurück, während er die Bälle aufsammelte.
    Sie hielt inne, weil sie an den Disput dachte, den sie vorhin noch mit Maddalena geführt hatte.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie erschöpft. »Was verbergt Ihr vor mir?«
    »Madonna, schau mich nicht so an. Schau hierher.« Er fing erneut an, mit den Bällen zu jonglieren.
    Sie wandte sich ab und ließ ihn stehen. Ihr Tag war noch nicht vorbei. Nicht, bevor sie nicht an jenem Ort gewesen war, wo es sie plötzlich mit aller Macht hinzog.
    Die Sonne hatte ihren Tagesbogen fast vollendet. Sie stand wie ein Feuerball tief im Westen und färbte die Linie der Dächer bereits dunkelrot.
    Diesmal mietete Sanchia eine Gondel, denn sie wollte Girolamos Dienste nach der anstrengenden Bootsfahrt nicht erneut in Anspruch nehmen. Außerdem lag der Kanal nicht allzu weit entfernt von der Route, die sie ohnehin nehmen musste, um nach Hause zu kommen. Es war kein großer Umweg.
    »Haltet hier an und wartet auf mich«, bat sie den Ruderführer, nachdem sie die letzte Biegung des Kanals passiert hatten. Sie stieg auf die Fondamenta und ging zögernd ein paar Schritte, bevor sie stehen blieb und den Anblick des Palazzo auf sich wirken ließ.
    In all seiner erhabenen Pracht lag er dort in

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