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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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konnten.
    Nachdem sie die Pferde getränkt und sich zu einer Rast niedergesetzt hatten, beobachtete Sanchia, wie Tsing sich im Teich wusch. Er hatte den Helm abgenommen und das Tuch entfernt, das er darunter trug. Sein Schädel war wie bei den anderen Söldnern kahl rasiert, Tribut an die sonst allseits drohenden Läuse. Doch im Gegensatz zu den anderen hatte Tsing seine Haare nicht völlig dem rauen Soldatenleben geopfert. Im Nacken trug er einen dünnen, langen Zopf, und während er kopfüber Haar und Haut reinigte, fühlte sich Sanchia wie die Zuschauerin bei einem heimlichen Ritual. Dennoch konnte sie die Blicke nicht abwenden, als Tsing mit einem scharfen Messer sorgfältig die Stoppeln auf seinem Schädel abkratzte, den Zopf kreisförmig über die Glatze drapierte und dann eilig Tuch und Helm darüberstülpte, sodass kein Zipfel mehr davon herausschaute.
    »Wo stammt er her?« Sanchia wandte sich Lorenzo zu, der neben ihr saß und ein gefährlich aussehendes Schießrohr ölte. Sie lebte in der ständigen Sorge, die Büchse könnte in der Satteltasche explodieren, obwohl Lorenzo ihr versichert hatte, dass das ohne Zündvorgang nicht möglich sei.
    »Aus einem Land namens Qin , es liegt noch hinter Indien, am Rand der östlichen Welt. Seine Bewohner nennen es Reich der Mitte .« Er erzählte, dass Tsing in Ercoles Reitertrupp ursprünglich als Sklave gedient hatte, dass er jedoch, nachdem er sich in vielen Kämpfen mit Raubrittern und Strauchdieben hohes Ansehen erworben hatte, seit einigen Jahren ein freier Mann war. Lorenzo hatte die Besitzurkunde vor seinen Augen zerrissen.
    Sanchia bedachte Lorenzo mit zweifelnden Blicken. »Offen gesagt, ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
    Er legte die Arkebuse zur Seite und holte ein Stück Brot aus seiner Satteltasche. Er bot ihr davon an, doch sie lehnte ab. Sie war zwar hungrig, aber nach Brot mit Pulvergeschmack stand ihr nicht der Sinn.
    »Stört es dich, dass meine Familie Sklaven hält? Glaub mir, sie haben es gut, besser als die herkömmlichen Diener. Werden sie alt oder krank, sind sie dennoch versorgt, und wir achten darauf, sie gut zu kleiden und zu nähren.« Er biss von dem Brot ab. »Willst du wirklich nichts essen?«
    Als sie lächelnd den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Sie haben viele Freiheiten. Wer gehen will, muss es nur sagen. Aber bisher wollte es keiner.«
    Sanchia dachte flüchtig an Rufio und schüttelte den Kopf. »Das meinte ich nicht. Sklavenhaltung ist unwürdig und einer Christenseele nicht angemessen, aber besonders merkwürdig erscheint mir, dass Tsing sich bei Kämpfen hervorgetan haben soll. Schau ihn dir doch nur an, er ist ungefähr so groß wie ein zehnjähriges Kind!«
    »Er kämpft wie ein Berserker und hat schon Gegner niedergestreckt, die doppelt so groß waren wie er«, mischte sich Ercole mit ungewohnter Beredsamkeit ein. Er hatte sein Pferd abgesattelt und reinigte die Hufe des starkknochigen Wallachs. Bei seinen Worten leuchtete sein Gesicht vor Stolz, als hätte er persönlich den kleinen Asiaten zum Kämpfer ausgebildet. »Seht Ihr sein Schwert?« Er deutete auf das Gehenk mitsamt Waffe, die Tsing abgenommen und auf einen Felsen gelegt hatte, bevor er zum Teich gegangen war. »Man nennt es Degue . Ich überlege, mir auch so eins machen zu lassen. Es ähnelt dem Nähwerkzeug einer Frau, das ist wahr. Kleines, spitzes Ding, kaum der Rede wert. Aber es ist so tödlich und schnell wie der Biss einer Schlange. Bis der Gegner das Breitschwert gehoben hat, ist seine Lunge bereits zweimal durchbohrt.« Sein Blick ging in die Ferne, als suchte er dort nach Worten. »Er ist wie David in der Bibel, nur dass er zu einem Heidengott namens Laozi betet. Zum Glück leidet seine Kampfkraft nicht darunter.«
    »Sie glaubt es immer noch nicht«, meinte Lorenzo amüsiert.
    Ercole pulte einen spitzen Stein aus dem Huf seines Wallachs. »Warten wir, bis sie ihn kämpfen sieht.«
    »Lieber nicht«, sagte Sanchia.
    Die vier übrigen Söldner, die in ihrem Gefolge ritten, waren Gascogner, stoische, sonnenverbrannte Burschen, die untereinander französisch redeten. Nachdem Karl über die Alpen zurück nach Frankreich gezogen war, hatten sie sich, wie schon vor dem Italienfeldzug, nach einem anderen Condottiere umgetan, der ihrer Dienste bedurfte. Sie waren mager und zäh, genau wie ihre Pferde, die sie mit Wappentüchern der Serenissima geschmückt hatten und die im vorigen Jahr noch die Farben der Valois getragen hatten. Wann immer

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