Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
sie nach Lorenzos Berichten über die römische Politik keineswegs sicher sein konnte, ob jeder dieser armen Teufel, deren Köpfe hier verfaulten, tatsächlich ein Verbrecher gewesen war – oder sich vielleicht einfach nur mit jemandem angelegt hatte, der mächtiger war als er selbst.
Die Gascogner rissen makabre Witze über das grässliche Spalier, doch Ercole spuckte angewidert aus. »Das ist die Pforte zur Hölle«, sagte er kalt. Er gab seinem Wallach die Sporen und ritt voraus, an einem festungsartig ausgebauten runden Kastell vorbei, über dessen Mauern ein großer Marmorengel thronte.
Durch ein Viertel mit verwinkelten Gassen und alten Häusern gelangten sie auf einen weiten Platz, der von einer Ansammlung wuchtiger, wenig einladend gestalteter Bauten begrenzt wurde. »Wir sind am Ziel«, sagte Lorenzo. »Dies ist der Vatikan.«
Sanchia wusste nicht, was schlimmer war, der Hunger oder die Schmerzen in ihrer Kehrseite. Letztere kamen vom Reiten, und sie litt darunter, seit sie in Rimini aufs Pferd gestiegen war. Als Lorenzo sie gefragt hatte, ob sie reiten könne, hatte sie das in aller Arglosigkeit bejaht, schließlich hatte sie in Florenz mehrfach auf einem Esel gesessen. Leider hatte sich herausgestellt, dass der Ritt auf einem Pferd damit nicht zu vergleichen war. Ihr Hintern protestierte seit ihrem Aufbruch in der vergangenen Woche nach jedem Absitzen mit nicht nachlassenden Schmerzen. Beim Reiten selbst ging es erstaunlicherweise ganz gut, jedenfalls nach einer Weile – ihr Gesäß wurde durch das harte Auf und Ab nach einer gewissen Zeit schlicht betäubt.
Ein heißes Bad, so hoffte sie, würde die ärgsten Beschwerden lindern, doch in der Kammer, in der sie nun schon ewig wartete, gab es außer einem Nachtstuhl und einer Waschschüssel – ohne Wasser – nichts, das zur Körperpflege animiert hätte.
Folglich dachte sie nicht lange über das Baden nach. Der Hunger ließ sich leider nicht so rasch verdrängen. Sie hatte seit dem frühen Mittag nichts gegessen, und nach ihrem Eintreffen in Rom hatte sie über der Fülle der vielen neuen Eindrücke vergessen, rasch noch ein Stück Brot aus der Satteltasche zu holen. Abgesehen davon, dass es vermutlich scheußlich nach Pulver geschmeckt hätte, waren die Pferde inzwischen in den Stallungen des Vatikans untergebracht und ein Imbiss somit in weiter Ferne.
Sie selbst hockte seit mindestens einer Stunde in dem Gemach, das ihnen ein hochnäsiger Diener zugewiesen hatte, und harrte der Dinge, die weiter auf sie zukamen. Lorenzo hatte sich nur rasch umgezogen, weil er nicht damit warten wollte, dem Papst, der bereits von seiner Ankunft erfahren hatte, seine Aufwartung zu machen. Der Palastdiener hatte keinen Zweifel daran gelassen, wessen Wort hier Gesetz war.
»Seine Heiligkeit wünscht, Euch sogleich begrüßen zu dürfen. Seine Heiligkeit ist hocherfreut, dass Ihr Euch bei guter Gesundheit wieder am Heiligen Stuhl eingefunden habt.«
Lorenzo hatte bereits das Wams abgestreift, bevor der Diener fluchtartig das Zimmer verlassen konnte.
»Seine Heiligkeit ist natürlich kein Mensch, den man warten lässt«, sagte Lorenzo, während er sich das durchgeschwitzte Hemd vom Körper riss. »Ich stinke nach dem langen Ritt sehr unheilig, aber damit muss seine Heiligkeit sich dann eben abfinden.« Er zog sich rasch frische Sachen an und küsste Sanchia kurz, aber intensiv. »Wir sehen uns später.«
Gleich darauf war er hinausgestürmt und hatte Sanchia allein zurückgelassen.
Sie waren in einem Trakt untergebracht, der für Staatsgäste und ausländische Gesandte vorgesehen war, wobei Sanchia auf dem Weg hierher vergeblich versucht hatte, sich die verschiedenen Richtungswechsel und die unübersichtliche Vielzahl von Gängen und Türen zu merken. Der Vatikanspalast war gewaltig in seinen Ausmaßen, sicher hatte er nicht weniger als tausend Räume. Die Säle, die sie durchschritten hatten, waren ebenso wie die Gemächer, in die sie im Vorübergehen einen Blick hatte werfen können, übertrieben ausgestattet mit kostbaren Möbeln, Kandelabern, vergoldeten Vasen und edlen Teppichen – eine kalte Pracht, allein darauf abzielend, Macht und Besitz zu demonstrieren. Auch das Ansehen der Familie Borgia fand in der Ausgestaltung des Palastes überall Ausdruck, und Sanchia konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie absichtlich auf Umwegen durch die Gänge und Säle geführt wurden, damit ihnen auch ja nichts von der zur Schau gestellten Herrlichkeit
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