Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
viel anders gemacht. Nehmen wir nur Innozenz VIII. Der hat seinen Sohn mit einer Tochter Lorenzo de’ Medicis verheiratet und zum Ausgleich dessen Sohn die Kardinalswürde verliehen.«
»Giovanni.«
»Richtig,« sagte Lorenzo verdutzt. »Hast du in Florenz von ihm gehört?«
Als sie die Schultern hob, fuhr er fort: »Es mag eine menschliche Regung sein, seine Verwandten über andere hinausheben zu wollen. Aber als Jesus von all seinen Jüngern Petrus als den Fels bestimmte, auf dem seine Kirche stehen sollte, hat er als dessen Nachfolger gewiss keine Männer im Auge gehabt, die sich das Pontifikat mit Gold erkaufen oder vor aller Welt Mätressen halten. Und Kinder zeugen, denen sie Bischofshüte aufsetzen. Die Kirche ist wahrlich reif für eine Erneuerung, in dem Punkt hat Savonarola Recht.«
»Das mag sein, aber zum Erneuerer taugt er nicht«, sagte Sanchia entschieden. »Ich habe ihn auf der Kanzel erlebt. Aus ihm spricht nicht der göttliche Funke, sondern die Freude daran, sich selbst reden zu hören. Einem Mann, der sich mit Geißelhieben der Erleuchtung näherbringen will, fehlt es ganz erheblich an geistiger Gesundheit.«
»Das stimmt, aber die Botschaft, die er verkündet, fällt auf fruchtbaren Boden. Ein Eklat mit dem Papst ist unausweichlich, aber wie es ausgehen wird, unterliegt wohl keinem Zweifel. Einem Borgia ist Savonarola auf keinen Fall gewachsen.«
Sanchia rückte ein wenig näher an ihn heran. »Was wirft man dem Papst mehr vor, den Nepotismus, die Simonie oder das sündige, der Fleischeslust zugewandte Leben?«
»Wahrscheinlich am meisten, dass er Spanier ist«, sagte Lorenzo trocken. Tatsache war, dass viele Römer sogar in aller Ernsthaftigkeit argwöhnten, der Papst sei Marane , also ein getaufter Jude, von denen es gerade im katalanischen und aragonesischen Adel nur so wimmelte.
»Zur Simonie habe ich folgende These«, sagte Sanchia eifrig. »Sie wird deshalb geduldet, weil Männer, die sich Ämter kaufen, auch davon überzeugt sind, sie ausüben zu können. Und oft ist das auch tatsächlich der Fall, denn wenn man sich Pfründen kauft und sie nicht hegt, werfen sie nichts ab. In dem Fall wäre es eine sinnlose Investition gewesen, aber dazu neigen reiche, mächtige Männer eher nicht.«
»Sagte ich dir schon, wie klug du bist? Du hast einen messerscharfen Verstand, kaum jemand hätte es besser formulieren können!«
Sie strahlte ihn an. Mit einem Kompliment über ihre Schönheit hätte er ihr nicht annähernd so viel Freude entlocken können. Er hatte jedes einzelne Wort ernst gemeint, und er fragte sich, warum ihm in der ersten Zeit ihrer Beziehung das bloße körperliche Beisammensein als allein selig machend erschienen war. Mit ihr zu leben bedeutete so viel mehr, als nur die Freuden ihres Körpers auskosten zu dürfen. Die Dispute mit ihr waren für ihn zu einem unverzichtbaren Zeitvertreib geworden.
»Kommen wir zum dritten Punkt.« In ihren Augen spiegelte sich das Feuer.
Er hob die Brauen. »Welcher war das gleich? Etwa das sündige, der Fleischeslust zugewandte Leben?« Seine Hand schickte sich an, unter dem Umhang umherzuwandern. Sie seufzte zufrieden, als seine Finger den Weg unter ihr Kleid fanden und einen Augenblick später über nackte Haut glitten.
»Kalt?«, flüsterte er.
»Kein bisschen.«
Sie erwachten im Morgengrauen, die Körper unter der mit Tau bedeckten Pelzdecke aneinandergeschmiegt. Sanchia spürte seine Nähe und seine Wärme, dennoch tastete sie nach seiner Hand. Sie zog ihre miteinander verschränkten Finger vor ihre Brust und genoss das Gewicht seines Armes über ihrer Schulter. In die Höhlung seines Leibes gedrückt, fühlte sie sich in der zwielichtigen Unwirklichkeit zwischen Nacht und Tag auf eine Weise eins mit ihm, als wäre sie ein Teil seiner Seele.
Um sie herum fingen zögernd die ersten Vögel an zu zwitschern. Die Welt hinter den Bäumen verlor sich noch in der Dämmerung, doch die Nebel, die rings um sie herum vom Boden aufstiegen, gaben eine diffuse Helligkeit von sich. Die Luft war kalt, aber unter der Decke war es warm, fast heiß.
Eine unmissverständlich stupsende Bewegung am verlängerten Ende ihres Rückens zeigte ihr, dass er wach war. Er fragte sie, ob sie ihn wolle, so wie er es immer tat, und wie jedes Mal stimmte sie zu. Er nahm sie wortlos und zärtlich, sein Mund an ihrem Nacken und seine Hände immer noch vor ihrer Brust mit den ihren verschlungen.
Als sie später in Richtung Perugia ritten, war schon von weitem
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