Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
Menschen, vor allem Berittene, ihren Weg kreuzten, bildeten sie vor den anderen eine Art lebendigen Panzer, eine Furcht einflößende Reihe sporenklirrender, lanzenbewehrter Krieger.    
    Ihr Weg führte sie weiter nach Süden. Sanchia bemühte sich wie schon an den Tagen zuvor tapfer, den Protest ihres Körpers gegen die ungewohnte Fortbewegungsart zu ignorieren, in der Hoffnung, dass ausdauerndes Reiten sie allmählich abhärten würde, doch an den Abenden schmerzte ihre Rückseite stets zum Gotterbarmen.
    In mehreren Tagesmärschen passierten sie kleine Ortschaften entlang der alten Römerstraße, bis sie schließlich Narni hinter sich gelassen hatten und am späten Nachmittag von Norden her kommend über die Via Flaminia in der Ewigen Stadt einritten. So kalt es in den Bergen des Appenin noch gewesen war, so erstickend heiß war es in der römischen Tiefebene. Der schlimmste Monat in Rom, so hatte Lorenzo erklärt, sei der August. Im August floh jeder, der es sich leisten konnte, hinaus aufs Land, um der tödlichen, sengenden Hitze und den in Scharen ausschwärmenden Mücken zu entgehen.
    Sanchia dachte bei sich, dass schon der Mai schlimm genug war. Der Gestank, der über der Stadt lag, übertraf die modrigen Ausdünstungen, die Sanchia aus Venedig kannte, tatsächlich bei weitem. Sie wusste selbst nicht, was sie erwartet hatte, aber ganz gewiss nicht diese düsteren Reihen ungepflegter, mehrstöckiger Häuser an verwinkelten, von Unrat übersäten Straßen. Lorenzo hatte Sanchia die Stadt beschrieben, und er hatte nicht damit hinterm Berg gehalten, wie miserabel es an allen Ecken und Enden aussah. Dennoch war es für sie eine Überraschung, das Zentrum des weltumspannenden Kaiserreichs der Antike als stinkende, verfallende Stadt vorzufinden, in der es ganz offensichtlich mehr Ruinen gab als ordentliche Behausungen – die antiken Gemäuer aus der Römerzeit nicht mitgerechnet.
    Lorenzo erklärte ihr, dass ein Teil der Baufälligkeit darauf zurückzuführen war, dass Rom im letzten Jahr die verheerendste Überschwemmung seit Menschengedenken erlebt hatte.
    »Der Tiber ist so mächtig angeschwollen, dass sämtliche Häuser in der Ebene unter Wasser standen. Viele Gebäude sind eingestürzt oder so stark beschädigt worden, dass sie nicht mehr bewohnbar waren. Den Rest haben Plünderer erledigt, als die Bewohner zum Schutz auf die Hügel geflohen waren. Hinterher kam die Pest dazu. Tausende sind gestorben, und noch mehr Häuser stehen seither leer und verfallen.«
    Überall waren noch Zeichen des Unglücks zu sehen, Kreidemarkierungen und in das Mauerwerk gehauene Kerben, mit denen die Bewohner den Wasserstand zur schlimmsten Zeit der Flutkatastrophe festgehalten hatten. Das Kopfsteinpflaster war locker, und hier und da waren Arbeiter zu sehen, die damit beschäftigt waren, Ruinen niederzureißen. Unkraut und wilder Wein wuchsen aus den Trümmerbergen, und die Säulen, die an manchen Stellen erstaunlich intakt aus den traurigen Überbleibseln einer Straße oder eines Platzes herausragten, ließen die Zerstörung noch gespenstischer wirken.
    Der Tiber war jetzt im Sommer ein eher kümmerlicher, träge dahinströmender, von braunem Uferschlamm begrenzter Wasserlauf, der eigentlich harmlos wirkte. Doch Sanchia, die inzwischen wusste, dass er noch andere, weit scheußlichere Geheimnisse barg, ließ sich von dem Anblick nicht täuschen. Hinzu kam, dass er auf eine Weise stank, die problemlos geeignet war, ihre Fantasien über ganze Berge von grausam gemeuchelten Gewaltopfern auf dem Grunde des Flusses weiter anzustacheln.
    Über die von Sümpfen durchsetzte, mückenverseuchte Flussebene erhoben sich mehrere Hügel, auf denen es neben den antiken Palastruinen auch neuere Herrschaftshäuser gab. Doch schon aus der Ferne war zu sehen, dass sie nichts mit den venezianischen Palazzi gemeinsam hatten, außer, dass es ersichtlich die Wohnstätten von Reichen waren. Fast völlig frei von Verzierungen und ohne einen Hauch der lichten, filigranen Offenheit der venezianischen Prachtbauten, waren sie kaum mehr als festungsartige Klötze aus riesigen, fest gefügten Quadersteinen.
    Andere Hügel schienen ländlich und kaum bewohnt, teilweise sogar nahezu verlassen.
    Lorenzo war ihren Blicken gefolgt. »Das ist der Kapitolinische Hügel mit Gebäuden aus der Kaiserzeit. Die meisten sind allerdings völlig verfallen. Man nennt ihn auch Monte Caprino , weil es dort nicht viel gibt außer ein paar Geißen.« Er blickte sie

Weitere Kostenlose Bücher